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Die Reise ins Labyrinth 



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Dieses Thema hat 76 Antworten
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Jareth Offline

Hoggle


Beiträge: 45

29.09.2009 22:14
#46 RE: Fanfiction Antworten

Ich schreibe schon seit 2000 eine Fanfivtion und finde immer noch kein Ende. In letzter Zeit habe ich Pause gemacht. Ist eine Fantasy Fanfiction. Ist schon ziemlich schwer die Zeit da für auf zu bringen, aber ich schreibe meine Fanfiction weiter. Mal sehen, wann ich fertig werde. Kann aber noch etwas dauern.

Have a sunny day! ^ ^

Cristal Moon Offline

Im Zentrum, im Schloss des Koboldkönigs!


Beiträge: 3.283

30.09.2009 13:59
#47 RE: Fanfiction Antworten

Na ja, manche berühmten Autoren haben auch Jahre gebraucht, um ihre Werke zu vollenden. Ist es auch eine Labyrinth-Fanfiction oder aus einem anderen Fantasy-Bereich?
Möchtest Du Deine Fanfiction irgendwo veröffentlichen? In irgendeinem Forum z.B.? Ich denke, wir würden sie alle gerne lesen...

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But I'll be there for you, as the world falls down...

Jareth Offline

Hoggle


Beiträge: 45

07.12.2009 21:59
#48 RE: Fanfiction Antworten

Auf jeden fall, aber ich weiß nicht wann. Wird noch etwas dauern.

Have a sunny day! ^ ^

Wolfempress Offline

In welche Richtung soll's nun gehen?

Beiträge: 928

23.12.2009 01:43
#49 RE: Fanfiction Antworten

@Cris, basierend auf deiner Idee:
Disclaimer: Labyrinth is not mine.
AN: Wieder mal Schmalz pur *trief*, eigentlich am besten an Weihnachten zu lesen, also habe ich eine engl. FF von mir in Deutsche übersetzt und ein wenig abgeändert. (überarbeitet – und mit den üblichen nicht gesehenen Fehlern..)

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Gefangen unterm Mistelzweig
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Sarah setzte sich an den Küchentisch. Sie nahm sich einen Füller und Papier.

Das sollte der Letzte sein!

Was konnte sie schon erwarten mit 30 - nach fünfzehn Jahren, die sie ihm mit Briefeschreiben geopfert hatte, ohne je eine Antwort zu erhalten??? - Nichts.
Sie konnte nicht viel von einem Mann erwarten, der so unvorhersehbar war wie ein Gewitter. Hatte sie wirklich nichts aus fünfzehn Jahren gelernt, die durchzogen waren von Heulerei, Selbstzerfleischung und Seelenstriptease für einen Mann, der dies Opfer weder zu würdigen wusste, geschweige dem es verstand?!

Das war alles bereits weit hinter krankhaft obsessiv oder krank machender „Liebe“, verdammt, das lag schon weit, weit hinter *stalking*. Komischerweise hoffte eine irgendeine irrsinnige, abgedrehte, krampfhafte, phantastische Vorstellung tief in ihr, dass er ihr antworten würde. Vielleicht war es sinnvoller auf Post vom Weihnachtsmann zu warten. Als Kind hatte ihr wenigstens irgendjemand auf solche Briefe geantwortet...

Warum hatte der Koboldkönig niemanden, der ihm die Post beantwortete? Wenn Sarah wenigstens einen vorgefertigten Brief erhalten hätte oder etwas Ähnliches, dann hätte sie wenigstens einen Schlussstrich ziehen können. Dann wäre das Thema Koboldkönig endgültig durch gewesen!

Aber vielleicht wollte Jareth genau das, irgendwelche Mädchen oder Frauen, die ihm Briefe schrieben und sich damit lächerlich machten. Wahrscheinlich war das genau sein Amüsement, weibliche Wesen, die sich um seine Gunst buhlten. Welcher Herrscher fand es nicht aufregend, weibliche Scharen an Gespielinnen um sich zu haben und sie bei Bedarf wieder fallen zu lassen?

Wenn dem so war, hätte er ihr doch sicherlich geantwortet, oder? Nicht, dass man erwarten konnte, dass ein König dem Fußvolk schreiben würde...
Wenn Jareth die Briefe überhaupt las... Sie konnte sich praktisch ausmalen, wie Jareth sich über ihre Briefe lustig machte und sie den Kobolden laut vorlas. Was für ein widerwärtiger Gedanke!

Die Kobolde würden ihre tiefsten, innersten und wertvollsten Gefühle kennen. Okay, es wären nicht alle Gefühle, trotzdem waren es wichtige Begebenheiten aus ihrem Leben - vor allem auch der stümperhafte Versuch einer Entschuldigung für ihr Eindringen ins Labyrinth. Sarah schüttelte sich. Nein, lieber nicht dran denken!

Ach, eigentlich war alles der Aufregung nicht wert. Sie hatte praktisch kein Leben. Sie hatte eine winzige Wohnung, mehr so was wie ein *Wohn-Klo*; in ein paar Schritten war man durch die gesamte Wohnung gelaufen. Das Bad war so klein, dass man darin praktisch nicht umfallen konnte! Sie war Bibliothekarin, natürlich hörte sie das groß an, leider war dem nicht so. Ihr Gehalt war okay und wenigstens hatte sie viele Bücher um sich.

Sarah hatte viele Dates gehabt, aber nicht einen Freund. Sie hatte auch nie aufgegeben von einer Karriere als Fantasy-Autorin zu träumen, jedoch war das mit der Zeit genauso in unerreichbare Ferne gerückt wie die Sterne oder ein gewisser Koboldkönig. Sie hatte ihre Manuskripte zu vielen Verlage geschickt, doch sie bekam stets Absagen. Sie hatte auch versucht selbst etwas zu verlegen, aber das war über alle Maßen teuer. Sie fühlte sich, als ob ihr Leben aus dem Ruder geriet.

Über die Zeit hinweg fühlte sie sich elend... geschwächt durch ihre überwältigenden Gefühle für einen Mann, der sich ihr gegenüber nie wirklich geöffnet hatte. Er hatte nie ihren Briefen geantwortet und sie einfach ignoriert. Natürlich lasteten alle andere Fehlschläge ihres Lebens auf ihr, wozu auch unerfüllbaren Träumen hinterher zu rennen gehörte. Sie versuchte diese Gefühle und Gedanken loszuwerden, jedoch blieb diese vermaledeite Hoffnung, dass alles gut werden würde.

Sie war sehr depressiv geworden. Ihr war durchaus bewusst, dass sie selbst das Einzige war, das ihr im Weg stand. Alles, was sie je versucht hatte zu ändern, um ihre Träume zu erreichen, scheiterte. Alles endete damit sich im Kreis zu drehen und wieder am selben Punkt angelangt zu sein, an dem sie gestartet war. Sie saß in ihr eigenen Falle und würde höchstwahrscheinlich nie wieder hinaus finden.

Und irgendwie hatte alles mit ihren Gefühlen für den Koboldkönig begonnen, sie hatte ihn von Anfang an geliebt, doch gesagt hatte sie es ihm nie. Sie hatte gedacht, die Gefühle zu verschweigen, solange sie nicht seine Gefühle kannte.

Damals im Labyrinth schwieg sie wegen ihrer Verantwortung ihrem Bruder gegenüber, sie musste ihn wiederhaben, koste es, was es wolle. Der Preis waren ihre Wünsche und Träume. Dann wollte sie ihr eigenes Leben leben, um jemand darzustellen. Sie wollte eine Karriere, denn sie fühlte sich unwohl von dem Geld anderer Leute zu leben. Irgendwie hatte sie das Gefühl Jareth etwas beweisen zu müssen...

Ihre Gefühle waren wie galloppierende Rosse, die alle in verschiedene Richtungen wollten und sie saß auf der Kutsche und kam nirgends an. Also, unterdrückte sie ihre Gefühle auf der einen Seite ihre Gefühle, um Klarheit zu bekommen. Auf der anderen Seite schrieb sie Jareth Briefe, um ihn über ihr Leben und ihren Gefühlen zu informieren.

Die einzige Sache, die sie ihm nie gesagt hatte, war der wichtigste Teil ihrer Gefühle. Sie hatte ihm nie erzählt, dass sie ihn liebte. Jetzt würde sie es tun, in ihrem letzten Brief. Nach ihrem Seelenstriptease in den anderen Briefen schien dies kaum noch von Bedeutung zu sein, oder?! Und ihr war es egal, ob er den Brief dem ganzen Reich vorlas oder nur für sich las. Ihre Gefühle töteten sie, sie starb innerlich an Erschöpfung.

Ihre Freunde besuchten sie regelmäßig durch ihren alten Spiegel. Der Spiegel war das einzige Ding, das von ihrer Kindheit geblieben war.

Hoggle lieferte Sarahs Briefe an Jareth, obwohl er ihr gesagt hatte, dass seine Majestät ihren Briefen nicht antworten würde. Der Koboldkönig würde ihr nur antworten, wenn sie ihn direkt rief. Hoggle meinte, dass Jareths Stolz ihn von Antworten abhielte.

Sarah erklärte Hoggle, dass sie Angst davor hatte den Koboldkönig zu treffen, wenn sie seine Gefühle nicht kannte. Er mochte sie einmal geliebt haben, aber jetzt?

Sarah hatte gerade ihren letzten Brief beendet und gab ihn Hoggle. Sie hatte ihrem Freund ihre Gefühle und Befürchtungen gebeichtet. Hoggle kicherte bei dem Gedanken, seine Majestät könnte ihre Briefe anderen vorlesen. Hoggle versicherte Sarah, dass der Koboldkönig es verhindern würde, etwas Privates an die Öffentlichkeit zu lassen. Jedes heimliche Schnüffeln in seinem Privatleben wurde bestraft und das hart.

Und Hoggle lieferte ihren letzten Brief aus.

Die Zeit verging und Sommer ging in den Winter über. Sarah fühlte sich jeden Tag schwächer, es strengte sie sogar an ihren Lieblingsbeschäftigungen nachzugehen. Viel zu oft blieben Dinge liegen, es war ein Wunder wie ordentlich und gewissenhaft sie ihre Arbeit noch machte. Leider war sie mehr und mehr zur leblosen Hülle ihrer Selbst geworden. Ihre Wohnung war der Inbegriff des Wortes Chaos, sie schaffte es gerade mal alle paar Wochen sauber zu machen.

Sie wurde auch immer müder, was sich auch mit zehn oder zwölf Stunden Schlaf nicht verbesserte. Sie hatte das Gefühl zu versumpfen. Langsam schien es dem Ende zuzugehen. Ihre Freunde aus dem Untergrund beobachteten, mit großer Sorge, ihr innerliches Sterben auf langsamen, leisen Schritten. Sie wussten von ihren Gefühlen, bevor sie wagte sie zu bekennen. Es war ganz offensichtlich, dass sie den Koboldkönig liebte! Und er liebte sie.

Beide waren zu dickköpfig oder zu ängstlich, um es sich Aug‘ in Aug‘ einzugestehen. Die Freunde wussten, dass sie deswegen etwas tun mussten .

Bald würde wieder Weihnachten sein und sie würden zu der Weihnachtsparty bei Sarah gehen. Da Sarah allein lebte, feierten sie alle zusammen an Heiligabend, ohne aufzufallen. Das wäre die perfekte Gelegenheit etwas zu unternehmen. Ein passendes Geschenk für Sarah und Jareth am Fest der Liebe - das musste einfach klappen!

Hoggle wusste von einem Markt im Untergrund, wo sie magische Artikel verkauften. Den Freunden war klar, dort könnte es etwas geben, das ihnen hilfreich sein könnte. So machten sie sich auf den Weg zum Markt und es dauerte Wochen, um dahin zu gelangen und dann noch das richtige Stück zu finden.

Nichtsdestotrotz kamen sie rechtzeitig zur Weihnachtsparty mit Sarah zurück. Als sie auf der Erde ankamen, wurden sie fest von Sarah umarmt.

"Oh, es tut so gut euch wieder zu sehen. Ich dachte, ihr würdet nie wieder zu mir zurückkommen. Was hat euch denn dermaßen lange aufgehalten?"

"Wir haben dir ein Geschenk gekauft und es hat lange gedauert das Richtige zu finden," sagte Hoggle einfach.

Sarah musterte sie recht seltsam. "Oh, das muss ein ja tolles Geschenk sein, wenn es so lange gedauert hat, es zu kriegen. Da bin ich mal gespannt. Okay, lasst uns doch zuerst essen. Dann könnten wir die Geschenke öffnen," Sarah schlug vor.

Sie hatte ihre Weihnachtstraditionen wegen ihrer Freunde aufgegeben, so konnten die ihre Geschenke sofort mit Heim nehmen.

Nach dem Abendessen gab Sarah ihnen ihre Geschenke, Hoggle bekam ein Buch über Gartenarbeit, Sir Didymus bekam auch ein Buch, aber eins mit Erzählungen eines Ritters und ein Knochen für Ambrosius, Ludo bekam ein großen Teddy, weil er etwas brauchte, mit dem er beim Schlafen knuddeln konnte.

"Öhm, Sarah. Könntest du mir ein Glas Wasser bringen? Ich bin sehr durstig!" erkundigte sich Hoggle.

"Sicher." Sarah ging in die Küche, um ein Glas Wasser zu holen. Als sie zurückkam, waren ihre Freunde weg. Sarah war schockiert, warum würden sie sie so schnell verlassen? Vielleicht versteckten sie sich im Wohnzimmer.

Sie stand im Türrahmen ihres Wohnzimmers und bemerkte schnell, dass sie nicht bewegen konnte. Okay, sie konnte auf und ab springen, aber sie kam nicht vom Fleck. Eine Notiz, die plötzlich von oben auf sie nieder schwebte, erklärte ihr die missliche Lage:


Liebe Sarah,

wir wissen, wie sehr du den Koboldkönig liebst und wie sehr er dich liebt. Wir können es nicht länger mit ansehen wie ihr Beide leidet. Wir haben diesen verzauberten Mistelzweig gefunden (Schau hoch), der eine Person so lange gefangen hält, bis er oder sie von ihrer oder seiner wahren Liebe geküsst wird. Das ist unser Geschenk für dich – für euch!

Sarah, alles, was du tun musst, ist ihn zu rufen. Wir wünschen euch Beiden viel Glück!

Deine

Hoggle, Ludo und Sir Didymus.


Sarah schaute hoch und sah den Mistelzweig. Dann wurde sie wütend. Wie konnten sie es wagen!

In einem Wutanfall schleuderte sie das Glas weg und es krachte irgendwo mit einem lauten Zerbersten auf den Boden. Sarah machte sich nicht die Mühe zu schauen wo. Sie war verzweifelt und dermaßen verärgert über ihre Freunde, dass sie sich verkrampfte.
Wie konnten sie wissen, dass Jareth sie liebte? Hat er es ihnen etwa erzählt? Er hatte ihr es nie direkt ins Gesicht gesagt, ohne um den heißen Brei zu reden. Sicherlich, er hatte ihr das wunderbare Lied im Ballsaal-Traum gesungen, aber es war ein Traum, sonst erwähnte er Liebe zu ihr nie wirklich. War es denn die Wahrheit, dass es sie liebte? Würde er zu ihr kommen, um sie zu “erretten“?

Sie musste darüber nachdenken. Sie versuchte sich auf den Boden zu setzen, was auch tatsächlich klappte. Sie saß lange da und fing an zu weinen. Sie kam zu dem Schluss, sie könnte da nicht ewig sitzen. Vielleicht könnte sie Jareth bitten ihr zu helfen, auch wenn er sie nicht mehr liebte. Sie schaute auf ihre Uhr. 23. 45 zeigte sie an, Sarah saß hier seit über 2 Stunden! Sie kannte ihren Körper, bald würde sich ihre Blase melden und das würde peinlich werden! Im Moment ging es, aber sie wollte nicht warten bis es akut würde.

Sie bereitete sich vor ihre Gefühle zu kontrollieren. Sie stand auf und stellte sich aufrecht hin, wie ein Zinnsoldat. Bloß keine Schwächen zeigen!

"Jareth, bitte hilf mir!" rief sie. Verdammt, das klang zu weinerlich!

In einem feinen Dunst von silbrigen Glitzer erschien er direkt vor ihr.

"Guten Abend, Sarah. Du hast gerufen? Ich muss sagen, was für eine Überraschung."

Er blickte seltsam auf ihre geröteten Augen. "Du siehst aus wie ein Wrack. Was willst du?"

"Na, herzlichen Dank, Jareth. Charmant wie eh und je... Also, ich... öhm.. wurde gefangen... unter ein... einem... einem verzauberten Mistelzweig... undnureinKusshilft," Sarah murmelte kaum hörbar.

Aber Jareth verstand sie, weil er so nah bei ihr war.

"Warum bittest du nicht einen deiner Freunde um Hilfe? Ich bin ein viel beschäftigter Mann und nicht irgendein Ritter in einer leuchtenden Rüstung!" kläffte er.

"Und ich bin keine Jungfrau in Not, na, herzlichen Dank aber auch! Und ich kann meine Freunde nicht fragen, weil es ihre Idee war mir den Mistelzweig als Geschenk zu geben ,“ verteidigte Sarah ihre Entscheidung ihn zu rufen.

"Nette Freunde hast du, lassen dich unter einem verzauberten Mistelzweig warten, damit irgendein Idiot kommt und dich küsst. Da kannst du lange warten. Sie hätten wenigstens einen gut besuchten Ort finden können, da wäre bestimmt jemand zum Fragen gewesen - irgendwer! Ich bin niemand, der irgendein Mädchen küsst, um sie damit eines Zaubers zu befreien!" Jareth verschränkte die Arme. Er sah Sarah ärgerlich an.

Sarah wurde trotzig: "Oh, ich habe meinen Idioten gefunden! Und zu deiner Information: Ich kann nur mit dem Kuss meiner wahren Liebe befreit werden, darum ich habe dich gerufen. Du bist meine wahre Liebe!"

"Das ist jetzt aber ganz toll. Erst schreibst du mir all diese dummen Briefe seit über 15 Jahren, und hattest nicht mal das Bedürfnis mich zu rufen. Und jetzt, wo du unter einem Mistelzweig gefangen bist, rufst mich mit einem Male und tata, plötzlich bin ich deine wahre Liebe.
Ich mag in einem märchenhaften Schloss leben, aber ich bin nicht der Märchenonkel! Und auch wenn ich über ein paar dumme Geschöpfe herrsche, bin ich nicht dumm. Erzähl das jemand anderem. Auf Wiedersehen, Sarah!" bellte Jareth und war im Begriff zu verschwinden, als er realisierte, dass er seine Magie nicht benutzen konnte, um sich fort zu transportieren.

"Was zur Hölle? ....Nein! NEIN!.. Ich bin nicht bereit dich zu küssen, um von hier wegzukommen!" brüllte Jareth. Dann bemerkte er, was er gesagt hatte, ohne es zu beabsichtigen und schloss seinen Mund.

Sarahs Augen funkelten und sie lächelte ihn schüchtern an. "Bedeutet das, dass ich auch deine wahre Liebe bin?"

"Nein, das bedeutet, dass ich mit dir nur hier gefangen bin, weil ich deine wahre Liebe bin und ich nicht weg kann, ohne dich zu küssen! Und dich zu küssen ist das, was mir im Augenblick am Fernsten liegt!" brummte Jareth.

"Oh," Sarah klang enttäuscht.

Er liebte sie scheinbar nicht mehr, zumindest könnte sie einen Kuss von ihm bekommen. Ein Kuss, nach dem sie gesehnt hatte. Ein Kuss, der sich auf ewig anhalten müsste, wenn sie allein wieder war. Dieser Kuss würde höchstwahrscheinlich nicht mehr als ein Schmatzer sein.

Sie hatte Angst ihn zu küssen, sie hatte nie wirklich jemanden geküsst; die "Gute-Nacht-Küsschen“ mit ihren Freunden konnte niemand als Küsse klassifizieren! Streich das - Es würde auch ein Schmatzer sein und das konnte sie! Alle sie tun musste war, seine Majestät davon zu überzeugen.

"Gut, Schau. Ich weiß, du liebst mich nicht, aber ich meine es ernst, was ich dir in dem Brief geschrieben habe, du bist meine wahre Liebe. Ich hatte alle diese dummen Vorstellungen von uns beiden und ich wollte jemand sein, damit du nicht fürchten müsstest, ich würde dich für deinen Titel oder dein Geld wollen. Ich hatte Angst, dich zu rufen, weil ich keine Ahnung hatte, was du fühlst. Ich versuchte dich mit den Briefen zu überreden, etwas zu sagen. Ich weiß, ich lag falsch.
Liebe funktioniert nicht auf diese Weise, ich kann dich nicht zu etwas zwingen, aber ich konnte auch nicht aufhören dich zu lieben. Jetzt haben meine Freunde versucht etwas für mich zu tun, aber es funktionierte nicht. Das Beste ist es, du küsst mich und gehst Heim und vergisst mich und den ganzen Mist," schlug Sarah vor und starrte zu dem Boden.

Sie sah nicht den Blick in Jareths Augen. Er wusste immer, dass er richtig gelegen hatte. Sarah hatte für ihre Träume und sogar auch für seine gekämpft. Sie hatte auch für ihn geträumt. Sie hatte ihn mit ihr in ihre Träume genommen, all diese aufregenden Welten, von denen er nicht mal träumte. In seiner Welt waren diese Träume mehr wert als Gold! Und obwohl Sarah stetig schwächer wurde, hatte sie ihm immer Hoffnung und eine Stärke durch ihre Briefe gegeben, die er nie hatte.

Aber Jareth hatte nie gelernt, die Art von Gefühl zu zeigen. Sicher, er konnte Leute umarmen und er hatte genug Frauen geküsst. Er konnte große Reden schwingen, die er aus irgendwelchen Büchern hatte. Aber er wusste nicht wie es war mit jemandem wirklich zusammen zu sein, sich umarmen zu lassen, an jemand gekuschelt zu sein, liebkost zu werden oder geliebt zu werden als die Person, die er war.

Niemand hatte ihn je mit all seinen Problemen, Spleens und Fehlern geliebt und sondern nur das Image als König. Er hatte sich nie gänzlich nicht lieben lassen können, weil er sich nicht öffnen konnte, nicht sich selbst gegenüber oder jemanden sonst. Und obwohl Sarah diese Wände durchbrechen könnte, war er zu ängstlich, sie reinzulassen (In Wahrheit hatte sie das schon getan, leider Jareth war zu verängstigt daran zu denken). Er hatte Angst davor, dass sie ihn verletzen würde. Darum handelte er als der allmächtige König.

"Ich denke, ein kleines Küsschen wird das Problem lösen," meinte Sarah und sah in Jareths scheinbar kalte Augen.

"Das ist in Ordnung für mich," murrte Jareth. Er neigte sich hinunter und drückte seine fest zusammen gepressten Lippen auf ihre in einer sehr kurzen und kindlichen Art.

Keine Arme um den Körper des anderen! Kein In-einander-Schmelzen vor Begehren! Keine weichen Lippen, keine Zunge, kein Berühren und Schmecken von einander, keine Traumwelten! Nichts.

"Das sollte genug sein!" sagte Jareth in einer befremdlichen Stimme, als er sich zurückzog. Er versuchte noch einmal zu verschwinden. Noch einmal geschah nichts.

"Was zur Hölle? Warum, zum Teufel, klappt das nicht? Verdammt noch mal, ich habe – wie du gesagt hast – dich geküsst, ergo, müsste ich doch diesen Ort eigentlich sofort verlassen können. Trotzdem stehe ich noch hier, zum Teufel noch mal! Ich will jetzt hier weg und zwar sofort!" donnerte Jareth.

Sarah überlegte, dann dämmerte es ihr, das war ein kleiner 'Kinder'-Kuss – ein Schmatzer - und nicht der Kuss einer wahren Liebe. Irgendwie musste sie Jareth dazu überreden ihr einen weiteren Kuss, einen wirklichen Kuss zu geben.

"Vielleicht sollen wir es noch mal versuchen," bot Sarah an.

"Absolut NICHT, ich kann mich nicht erinnern wie du etwas von vielen wahren Küssen gesagt hast, nur von einem Kuss! Das war ein Kuss und es hat nicht geklappt, du bist nicht meine wahre Liebe und ich bin nicht deine, Ende vom Lied!" kläffte Jareth.

"Irgendwie kann ich das Gefühl nicht loswerden, dass du dich wie ein Kind benimmst.“

"Ich tue, was mir passt! Ich bin ein König! Basta!"

"Okay, okay, so kommen wir nicht weiter. Lass es uns, bitte, noch einmal versuchen. Nur ein weiterer Versuch, falls es nicht klappt, werde ich dich nicht mehr belästigen. Ich werde dann versuchen eine andere Lösung zu finden," bat Sarah in einer sanften Stimme. "Einmal noch, das kann doch nicht wirklich schaden."

Jareth dachte darüber nach. Nein, es würde nicht schaden. Sogar dieser kurze Kontakt war nett und vielversprechend gewesen. Eine Stimme in ihm schrie schon nach mehr. Er könnte sich ein letztes Mal kontrollieren, um ihr zu zeigen, dass es ihn nicht so tief verletzte wie es das getan hatte.

Es verletzte ihn sehr, dass sie Nichts von dem meinte, was sie gesagt hatte, sonst hätte der Zauber funktioniert. Obwohl es seinen Verstand und Herz durchzuckte, dass sie trotzdem seine wahre Liebe war und die Frage offenblieb: Warum hatte es nicht geklappt?

Er schob den Gedanken beiseite, stählte sich für einen weiteren Kuss mit Sarah. Er neigte sich abermals zu ihr und küsste sie wieder mit zusammen gepressten Lippen. Als ihre Lippen seine trafen, fühlte er einen kleinen Funken in sich, woraufhin er seine Augen schloss. Er fühlte Sarahs Hände, die sich in sein Haar wanden. Er erstarrte auf dem Fleck.

Sarahs Lippen wurden weich und ihre Zunge schnellte hinaus und umkreiste seine Lippen in sanften Wellen. Seine Lippen fingen an zu beben und wurden ebenfalls weich. Seine Sinne waren benebelt und seine Kontrolle schien zu schwinden. Die Stimme in ihm, die mehr wollte, wurde lauter. Jareths Armen schienen ihren eigenen Willen zu haben, sie schlängelten sich um Sarahs Taille und zogen sie näher zu ihm.

Er gewährte Sarahs Zunge Einlass zu seinem Mund, nachdem sie ihn mit ihrem zärtlichen Bitten fast um den Verstand gebracht hatte. Damit fingen ihre Zungen einen spielerischen Kampf an. Der Kuss wurde leidenschaftlicher und intensiver mit jeder anhaltenden Minute.

Sie konnten nicht genug von einander bekommen. Beide bemerkten nicht, dass sie sich in das Wohnzimmer hinein bewegten bis Jareths Beine gegen das Sofa stießen und er sich darauf hinsetzen musste. Nicht einmal das trennte sie von einander, Jareth hatte Sarah auf seinen Schoß gezogen, ohne das Küssen zu unterbrechen. Erst das Bedürfnis nach Sauerstoff ließ sie wenig auseinader rücken.

"Wir sind frei," Sarah sagte einfach.
"Ich weiß."
"Und jetzt?"

"Erst einmal muss ich dich um Entschuldigung bitten, dass ich gesagt habe du seist nicht meine wahre Liebe. Du bist meine wahre – meine einzige Liebe. Ich war einfach zu ängstlich. Ich fürchtete, dass du mich verletzen könntest, aber jetzt geht es nicht mehr anders, ich kann mich nicht mehr verstecken.
Ich liebe dich Sarah und das musst du einfach wissen. Und ich brauche dich in jeder Minute, ich brauche es dich zu lieben, ich kann ohne dich nicht existieren. Ich habe dich schon seit langem geliebt," erklärte Jareth und wischte die Tränen aus Sarahs lächelndem Gesicht.

"Und ich liebe dich. Ich habe nie jemand anderen geliebt," erklärte Sarah feierlich. "Endlich haben wir dieses kleine Hindernis überwunden. Wir sind hier zusammen und deshalb bin ich glücklich. Außerdem bin ich heute abend noch nicht mit dir fertig, ich will dich ganz und gar," Sarah blickte Jareth vielsagend an.

"Gut, wir könnten uns irgendwo hinbegeben, wo es gemütlicher ist," Jareth schlug, mit einem breiten Grinsen, vor.

"Mein Bett oder deines? Ich muss dich warnen, mein Bett ist ziemlich klein," meinte Sarah.

"Das Doppelbett im meinem Schloß ist groß genug für zwei, es sei denn, du möchtest ins Hotel," schlug Jareth vor.

"Wow, ich wollte immer schon dein Schlafzimmer von innen sehen," grinste Sarah. Jareth wollte sie noch einmal küssen, aber Sarah hielt ihn auf. "Bevor wir gehen, möchte ich dir ein Geschenk geben.“

"Warte hier!“ befahl Sarah sanft und drückte Jareth einen Kuss auf die Wange.

Sie sprang auf, verließ den Raum und kam einen Augenblick später zurück. Sie gab ihm ein Geschenk, eingewickelt in Weihnachtspapier. "Ich habe gehofft, es dir an Weihnachten geben zu können. Mach es auf!"

Jareth öffnete das Geschenk, das in seiner Hand lag, es war eine herzförmige Schachtel. Eigentlich war es nicht die Art von Geschenk, die er mochte, um Sarahs Willen öffnete er es trotzdem. Er fand darin ein Stück Papier mit den Worten *Ich schenke dir mein Herz* und eine Kerze und drei Edelsteine. Jareth sah verwirrt zu Sarah.

"Also, ich meinte es so: das Herz steht für mein Herz; der Amethyst steht für mein Tierkreiszeichen, das meinen Geist repräsentiert; der Rosenquarz steht für meine Liebe, und der Mondstein steht für die Frau in mir; die Kerze steht für das Feuer, das du in mir entfachst. In gewisser Weise repräsentiert das alles mich," erklärte Sarah mit frischen Tränen in den Augen und sie lächelte, weil sie auch Jareths Tränen sah.

"Nie zuvor hat mir jemand ein solches Geschenk gemacht, es bedeutet mir sehr viel. Du gibst mir ja nicht nur das Geschenk, du gibst mir auch dich selbst mit allen jenen wunderbaren Gefühlen als Geschenk. Das kann ich dir nie wieder geben, denn alles, was ich dir geben kann, ist ein Mann, der keine Ahnung hat wie man liebt und oder wie es ist geliebt zu werden. Aber ich werde meines Bestes geben, falls du mich willst," Jareth konnte die Tränen nicht zurückhalten.

"Natürlich will ich dich. Ich will dich so wie du bist, jetzt und immer. Falls du mir nicht glaubst, dann werde ich es dir beweisen," versicherte Sarah ihm, küsste ihn und drückte ihn ins Sofa.

Unnötig zu sagen, dass sie es zu keinem anderen Raum mehr geschafft hatten in dieser Nacht und dass sie einander bewiesen, wieviel sie einander brauchten und wollten.

Auch unnötig zu sagen, dass sie zusammen so glücklich lebten wie sie es nur werden konnten.

******
Ende
******

PS. Und ihr lebt noch :p ;)!

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'She has the power of knowing, what she dreams can come alive'

Cristal Moon Offline

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23.12.2009 11:36
#50 RE: Fanfiction Antworten

Wow - danke fürs Posten!
Ich glaube, ich kenne diese Geschichte schon - Du hast sie in dem einen FF-Forum gepostet, oder?
Ich freue mich nun total, sie nochmal lesen zu dürfen.

Hätte ich auch schon längst, aber in das FF-Forum komme ich nicht mehr rein, weil mein Antivirus mich jedes Mal rausschmeißt. Ich schätze, diese Seite ist total virenverseucht.
Um so mehr freue ich mich auf die Geschichte jetzt.
Sie ist auf jeden Fall das Richtige, um in magische Weihnachtsstimmung zu kommen. Ich glaube, das fehlte mir bis jetzt ein bisschen.

So. Genug gelabert. Dann lese ich jetzt und poste anschließend meine FF..

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Cristal Moon Offline

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24.12.2009 01:02
#51 RE: Fanfiction Antworten

@ Wolfempress: habe ich Dir schon mal gesagt, dass die beiden in Deiner Geschichte mich an Scarlett O'Hara und Rhett Butler erinnern?
So vom Temperament her und überheupt...?
Es tat wirklich gut, Deine Geschichte wieder mal zu lesen...Schmalz hin oder her. Und selbst wenn - muss auch mal sein! So und nun zu meiner FF... Die kommt im nächsten Post.

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Cristal Moon Offline

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24.12.2009 01:08
#52 RE: Fanfiction Antworten

Disclaimer - I don't own and/or don't sell anything of it. Labyrinth is not mine!

Labyrinth – das Weihnachtsmärchen - Teil 1

Kapitel 1
Weihnachtsstress

Sarah hasste es wie die Pest.
Den ganzen Weihnachtsstress. Schön brav Geschenke kaufen, weil es sich so gehört. Schön Kuchen backen, schön die Familie besuchen und über belanglosen Quatsch reden. Und immer schön dabei lächeln.
Gott, wie es sie anwiderte.
Sie wollte einfach nur allein sein, sie wollte, dass sie alle in Ruhe lassen.
Vor allem vor diesen Familienbesuchen graute es ihr. Jedes Jahr fand sich dabei jemand, meist irgendeine uralte Großtante, die taktvoll genug war, zu fragen, wie alt Sarah denn jetzt sei und wann sie denn endlich heiraten und Kinder bekommen würde.
Sarah dachte sich jedes Mal, was das überhaupt sollte. Dachten die Leute denn nicht nach, wie verletzend eine solche Frage sein konnte? Denn es war letzten Endes ihre Privatsache, wann sie heiratete und ob überhaupt.
Und wen sie heiratete.
Wobei sie auf das Letztere selbst keine zufriedenstellende Antwort wusste. Sie war schon 34 und es war noch kein passender Kandidat in Sicht.
Dabei hatte sie doch schon als junges Mädchen eine ganz konkrete Vorstellung davon, wie dieser sein sollte. Sarah träumte von keinem Geringeren als von einem wunderschönen, mächtigen Prinzen, der sie von diesem schrecklichen Ort, an dem sie damals lebte, und von den schrecklichen Menschen, mit denen sie umgeben war, wegbringen würde. Sarah malte sich das immer wieder aus, wie das denn wäre, einen solchen Mann zu treffen. Es wäre einfach eine Genugtuung für alles, was sie je erleiden musste: ihre Stiefmutter würde nämlich vor blankem Neid Ausschlag bekommen, wenn sie Sarahs Prinzen zu Gesicht bekäme und dann würde Sarah ihr den Rücken zukehren und mit ihrem Prinzen einfach davon reiten, oder davon fahren in einer schicken Limousine oder so.
Sie würde alles hinter sich lassen und endlich glücklich werden.
Das waren sehr schöne Träume.
Doch was für die meisten Mädchen nur ein Traum bleibt, wurde für Sarah Wirklichkeit - zumindest teilweise. Sie ist ihrem Traumprinzen begegnet. Dem Mann, der allen ihren Vorstellungen entsprach und all ihre Wünsche erfüllen wollte. Sie hat sich dennoch gegen ihn entschieden, aus Gründen, die sie heute gar nicht mehr richtig nachvollziehen konnte. Das Problem seitdem war aber, dass ihm kein noch so toller Mann gerecht werden konnte.
Keiner konnte in den letzten 20 Jahren mit Jareth, dem Koboldkönig, mithalten.
Tja. Sie hat es aber damals selbst vermasselt und nun war es zu spät für alles.
Selbst für die Reue.
Sarah lebte immer noch an demselben schrecklichen Ort wie damals, nur eben einige Straßen weiter in ihrem eigenen Haus. Sie war immer noch von denselben schrecklichen Menschen umgeben, die nur alle etwas gealtert sind, aber ihre üblen Eigenschaften beibehalten haben. Ihre Stiefmutter Rebecca ging ihr immer noch gewaltig auf die Nerven. Ihr Halbbruder Toby, der zu einem egoistischen Schönling herangewachsen ist, erschien ihr wie jemand von einem anderen Planeten, und ihr Vater… Na ja, dieser Mann hatte nie viel zu sagen und Sarah beobachtete, wie er jeden Tag stiller und unscheinbarer wurde.
Sarah konnte all das nicht mehr ertragen.
Sie fühlte sich hier fehl am Platz, verzweifelt, unverstanden, überflüssig.
Wie immer in den letzten 20 Jahren. Nur dass es ihr an Weihnachten immer wieder besonders deutlich wurde. Hätte sie damals bloß anders entschieden. Wenn sie dem Koboldkönig jetzt begegnen würde, würde sie…
Ach, den Teufel würde sie tun.
Jetzt war sie erwachsen, verdammt noch mal.
Erwachsene Frauen leben nicht in Traumwelten. Das gehört sich nicht.
Und außerdem hat Jareth bestimmt ein anderes Mädchen gefunden, das ihn anhimmelte und seine Geschenke dankbar annahm. Ein Mädchen, wohlgemerkt. Ein hübsches, junges Ding mit einem schüchternen Lächeln. Ein Mädchen, wie Sarah es einst gewesen ist.
Sarah selbst war schon 34 und sie fühlte sich manchmal so alt, dass sie sich selbst dafür hasste. Sie hasste in letzter Zeit einfach alles.
Und das Weihnachtsfest, das Fest der Liebe, stand vor der Tür.


Kapitel 2
Die Überraschung


Es war Heiligabend.
Sarah saß an ihrem Schminktisch vor dem Spiegel und überlegte, welche Ausreden sie nun benutzen könnte, um nicht zu ihrem Vater und ihrer Stiefmutter Rebecca zum Essen gehen zu müssen. Die Geschenke für alle Familienmitglieder lagen zwar verpackt da, in zwei großen Tüten, aber Sarah hatte keine Lust, sie zu überreichen. Geschenke gibt man doch, um seine Liebe auszudrücken, und Sarah hatte nun mal kein Bedürfnis danach, ihre Familie von ihrer Liebe zu überzeugen. Sie fürchtete, auch mit den prachtvollsten Geschenken würde eine solche Beteuerung wahrscheinlich nur wenig glaubwürdig ausfallen. Sie selbst wollte auch keine Geschenke bekommen - nicht von Menschen, die sich sonst einen Dreck um sie scherten und nur an Weihnachten so taten, als wären sie ihre besten Freunde und immer für sie da.
Sie seufzte und schaltete das kleine Radio ein. An den Weihnachtstagen kam zwar sowieso nur Schrott darin, „Last Christmas“ allem voran, doch Sarah brauchte einfach nur etwas Ablenkung. Jetzt kamen zum Glück nur die Nachrichten und Sarah hörte mit einem Ohr zu, während sie im Spiegel nach Falten im Gesicht suchte.
Doch nach den Nachrichten kam ein peppiger Weihnachtssong und Sarahs Stimmung wurde ein wenig besser. Mariah Carey sang „All I want for Christmas is you“. Das Lied war sehr heiter und Sarah sang eine Strophe mit:

I don't want a lot for Christmas
There is just one thing I need
I don't care about the presents
Underneath the Christmas tree
I just want you for my own
More than you could ever know
Make my wish come true...
All I want for Christmas
is You...

Der Song war zu Ende.
Sarah seufzte wieder. Die alte gute Mariah hat ihr aus der Seele gesprochen. Sarah wollte keine großen Geschenke. Mehr noch: sie wollte überhaupt keine Geschenke.
Sie wollte nur jemanden, der sie endlich richtig verstehen würde, der für sie da wäre. Der sie hier wegbringen würde. Das war das einzige, was sie sich wünschte. Und wenn sie sich so jemanden wünschen könnte, dann wäre es…
STOPP – sagte sie sich in diesem Augenblick entschlossen. Erwachsene Frauen dürfen so etwas nicht träumen. Erwachsene Frauen leben in der echten Welt, sie heiraten echte Männer, bekommen Kinder und feiern Weihnachten mit ihrer Familie.
Tja.
Einen Ehemann und Kinder hatte Sarah zwar nicht, aber sie hatte so etwas wie eine Familie und nun war es an der Zeit, dorthin zu gehen und an der Vorstellung teilzunehmen, die sich Weihnachten nannte. Zum Glück war Sarah eine gute Schauspielerin.
Wie ihre leibliche Mutter übrigens, die aber fast immer nur auf Tournee war und nicht einmal an Weihnachten Zeit für ihre Tochter hatte.
Sarah seufzte ein drittes Mal, schüttelte den Kopf, zog ihren Mantel an und nahm die zwei schweren Tüten mit.
Dann ging sie die Treppe herunter und öffnete die Eingangstür.
Sie blickte nach unten und stieß einen kurzen Schrei aus.
Auf der Fußmatte draußen saß ein großer zottiger Hund.

Kapitel 3
Merlin


Sarah ließ ihre Tüten fallen und presste beide Hände an den Mund. Eine Weile lang starrte sie den Hund an, ohne in der Lage zu sein, sich zu bewegen oder irgendetwas zu sagen.
Sie spürte zwei große, warme Tränen ihre Wangen herunterrollen und dann brach sie zusammen. Sie sank auf die Knie neben dem Hund, umarmte ihn und weinte, als ob sie all die in den vergangenen Jahren angestaute Trauer und Frust auf einmal loswerden wollte.
„Merlin!“ keuchte sie endlich. „Merlin… Merlin, mein Liebling. Wo warst du all die Jahre?“
Der Hund saß regungslos da. Er wimmerte leise und wedelte mit dem Schwanz, als wollte er sagen: ich bin doch hier, wo ich hingehöre, an deiner Seite. Was ist so besonderes daran?
Sarah atmete tief durch und setzte sich bequemer hin. Die Tüten mit den Geschenken lagen vergessen dort, wo sie sie fallen ließ.
Es war kalt hier draußen, es schneite und ein starker Wind wirbelte die Schneeflocken durch die Luft. Doch Sarah fühlte keine Kälte. Sie hatte auch keine Kraft, um aufzustehen und zurück ins Haus zu gehen. Sie konnte nur da sitzen und Merlin streicheln, als wäre das im Moment das Wichtigste auf der Welt.
Merlin saß immer noch regungslos da, als wäre er nie weg gewesen. Als hätte ihn die Stiefmutter nie weggegeben, damals, vor 20 Jahren. Sarah kam an dem Tag aus der Schule und als Merlin sie wie üblich nicht begrüßte, fragte sie ihre Stiefmutter nach dem Hund.
Der Hund sei weg, hörte sie die Antwort. Weil er das Haus verdreckt habe. Außerdem sei er laut und verzogen gewesen. Sarah sei mehrmals gewarnt worden, sie solle dem Hund Gehorsam beibringen und nun sei das Maß voll gewesen. Der Hund sei endgültig weg, sie habe für ihn einen neuen Besitzer gefunden.
Auf Sarahs Fragen, wer dieser Mensch überhaupt sei und wo er denn wohne, antwortete die Stiefmutter, sie wisse es nicht, er sei irgendein Punker in komischen Klamotten und mit Sonnebrille gewesen. Sarah ging daraufhin die Treppe hoch, verschloss sich in ihrem Zimmer und sprach ein Jahr lang kein Wort mit ihrer Stiefmutter. Sie nickte nur höflich, oder schüttelte den Kopf, wenn sie etwas gefragt wurde.
Nach einem Jahr bat ihr Vater sie, der Stiefmutter zu verzeihen. Sie sei keine schlechte Frau, meinte er, sondern eben, na ja… sie sei eben etwas übertrieben ordentlich, aber sie meine es nicht böse.
Sarah wusste viel besser, wie die Stiefmutter es meinte, aber ihrem Vater zuliebe hat sie von diesem Tag an so getan, als wäre nichts passiert. Doch sie hat Merlin, ihren treuen Begleiter nie vergessen und vermisste ihn die letzten 20 Jahre fast jeden Tag. Ja, 20 Jahre sind schon vergangen, als sie Merlin das letzte Mal streichelte.
Dieser Gedanke machte Sarah plötzlich wieder ganz wach. Sie setzte sich aufrecht hin.
Da stimmte doch was nicht.
Merlin wäre jetzt … 24 Jahre alt? Sarah stand erschrocken auf und schaute auf den Hund herunter. So alt werden Hunde nicht. Das heißt, manche vielleicht schon, aber dann sehen sie eben alt aus. Und dieser Hund war ein junger, vitaler Bursche, mit glänzenden Augen und vollem Fell, er sah aus wie Merlin, als sie ihn das letzte Mal an der Gartenpforte verabschiedete. Der Hund hechelte und in seinem Maul sah man weiße, gesunde Zähne.
Es konnte einfach nicht Merlin sein. Sarah stand auf und ging einen Schritt zurück.
Der Hund stand ebenfalls auf, bellte kurz und schüttelte sich.
Eine kleine Papierrolle fiel auf den Boden.
Sarah trat noch einen Schritt zurück und schaute sich um.
Was war hier los?
Merlin bellte sie erneut an, kurz und auffordernd. Sarah sah ihn fragend an, ging einen Schritt auf ihn zu und nahm das Stück Papier so vorsichtig in die Hand, als wäre es eine Briefbombe. Die Rolle war in der Mitte ein wenig geknickt, offensichtlich hatte sie Merlin hinter seinem Halsband gehabt.
Unentschlossen drehte Sarah die Papierrolle zwischen den Fingern. Die Rolle war versiegelt, mit einem roten Siegel. Der sichelförmige Abdruck darauf erinnerte sie an etwas, aber im Moment konnte sie nicht sagen, woran. Sie wusste nur, das Symbol war ihr vertraut, wie ein Gruß von jemandem, den man vor langer Zeit kannte.
„Ist es für mich? Soll ich es aufmachen?“ flüsterte sie zu Merlin und tippte sich anschließend fast an die Stirn. Sie sprach allen Ernstes mit einem Hund - als ob der Hund ihr antworten könnte. Oder doch…? Sie schaute voller Ehrfurcht zu Merlin - oder was auch immer er war – und erwartete fast eine Antwort.
Die braunen Augen des Hundes blickten in die grünen Augen von Sarah.
„Wuff!“ bellte Merlin entschlossen.
„Na, wenn das keine gute Antwort ist“ sagte Sarah erleichtert. Eine Sekunde lang hatte sie gedacht, der Hund würde sie gleich ansprechen, er wäre ein Bote von sonst jemandem und… Aber nein.
Es war ein ganz normaler Hund und das Ganze war in Wirklichkeit bestimmt nur ein Streich ihres teuflisch einfallsreichen Halbbruders Toby, der es liebte, ihr solche Schocks zu verpassen.
Sie hatte noch sehr gut die Zeiten in Erinnerung, als er – gerade mal 7 oder 8 Jahre alt – sich Abends in ihren Kleiderschrank eingeschlichen hatte und dann, sobald sie eingeschlafen war, langsam die Tür öffnete, bis sie erschrocken hochfuhr und schreiend aus dem Bett sprang. Ihre Stiefmutter nahm das Ganze mit einer stoischen Gelassenheit hin, sie sagte jedes Mal, Sarah solle nicht übertreiben, der Junge habe nun mal eine lebhafte Phantasie und außerdem sei Sarah erwachsen und wisse, dass keine Monster in Kleiderschränken wohnen. Und sie sei übrigens alt genug, um von Zuhause auszuziehen.
Und so kam es, dass Sarah zuerst in ein Studentenwohnheim zog. Irgendwann, als sie mit ihrem Studium fertig war und einen Job hatte, kaufte sie dann dieses Haus, zog ein und ihr Leben wurde fast normal. Fast, denn ihr Halbbruder konnte es eben nicht lassen und spielte ihr selbst auf Entfernung immer wieder makabre Streiche.
War dieser Hund einer davon?
Sarah schaute das Tier wieder an. Treue braune Augen erwiderten ihren Blick.
Merlins Augen.
Sarah schüttelte den Kopf und blinzelte einige Male. Irgendetwas war hier faul. Es war so eigenartig ruhig, wie in einem Traum, abgesehen von dem Schneesturm, der gerade sein Bestes gab. Aber vielleicht war deshalb in der gesamten Nachbarschaft keine Menschenseele zu sehen. Kein Auto fuhr die Straße entlang, keine streunende Katze war in Sichtweite. Es war so, als wären Sarah und der Hund die einzigen Wesen auf dieser Welt.
Sarah kniff sich in die Wange.
Nichts geschah. Sie stand immer noch da, die Papierrolle in der Hand, Merlin – oder was auch immer – zu ihren Füßen.
„Na dann wollen wir mal sehen, was der liebe Toby diesmal von mir will“ sagte Sarah laut, um diese unheimliche Stille zu unterbrechen.
Langsam brach sie das Siegel und rollte das Papier aus.
‚Folge dem Hund’ – stand darauf.
Na super, dachte Sarah. Wie in „Alice im Wunderland“. Es war aber ein Kaninchen, ein weißes Kaninchen, lieber Toby. Hast wohl im Englischunterricht nicht aufgepasst. Meine Güte. Der Kerl war mittlerweile 21 und benahm sich immer noch wie ein Vollidiot. Verärgert zerknüllte Sarah die Papierrolle und steckte sie in die Tasche. Sie hob die Tüten mit den Weihnachtsgeschenken und ging einen Schritt auf den Hund zu.
„Verschwinde, wo auch immer du hingehörst.“ sagte sie zu ihm mit müder Stimme. Der Hund drehte sich um und watschelte gehorsam die Straße entlang – in die Richtung, in die auch Sarah wollte.
Die dicken Schneeflocken wirbelten immer noch durch die Luft und Sarah sah zu, wie der Hund in dem Schneesturm verschwand.

Kapitel 4
Folge dem Hund


Sarah schaute dem Hund eine Weile lang hinterher und zuckte anschließend mit den Schultern. Vielleicht war es gar nicht Toby, vielleicht wohnte der Hund bei irgendeiner Familie in der Nähe und hat sich einfach nur verlaufen.
Nun gut.
Sie hat genug Zeit vergeudet, sie musste sich schleunigst auf den Weg zu ihren Eltern machen, wenn sie das Essen nicht verpassen wollte. Sie war sich selbst sauer, dass sie auf diesen billigen Trick ihres Bruders reingefallen war – falls er es überhaupt gewesen ist. Dieser Spinner hat es immer wieder geschafft, ihr einen Riesenschrecken einzujagen und seine Einfälle waren teilweise wirklich brillant. Diesmal wollte er bestimmt nur bewirken, dass sie zu spät kam und sich das Gemeckere ihrer Stiefmutter anhören musste. Bravo Toby, eine echte Glanzleistung.
Dir ziehe ich gleich die Ohren lang.
Sie rutschte plötzlich auf dem glatten Weg in die Garage aus und fluchte leise. Verdammt. Wenn die Straße genauso glatt war, dann konnte sie es mit dem Auto vergessen, zumal, dass sie auf Sommerreifen fuhr. Sie ging einige Schritte zur Straße und überprüfte den Asphalt.
Er war spiegelglatt.
So ein Mist.
Und kein Streufahrzeug in Sicht. Aber es war schließlich Heiligabend und die Leute vom Winterdienst hatten sicherlich etwas besseres zu tun, als herumzufahren und Zeug auf die Straßen zu streuen. Auf ein Taxi würde sie auch viel zu lange warten müssen, zu dieser Uhrzeit am Heiligabend und dazu noch bei dieser Straßenglätte.
Aber das bedeutete, sie würde zu Fuß gehen müssen. Das Haus ihrer Eltern war zwar nur wenige Minuten entfernt, aber das Wetter war so schlecht, dass sie jetzt schon wusste, dass sie völlig durchnässt ankommen würde. Es sei denn, ihr würde plötzlich eine dritte Hand wachsen, um den Schirm zu halten.
Hilfe, dachte sie sich. Wenn dieser schreckliche Abend bloß vorbei wäre. Oder wenn irgendetwas passieren würde, wodurch ich unmöglich zu meinen Eltern könnte…
Sie hob wachsam den Kopf und schaute sich um.
Solche Beschwörungen hatten eine ungeheure Macht, das wusste sie mehr als gut. Sie hielt den Atem an und wartete einige Sekunden. Sie wusste genau, als sie das letzte Mal solche beschwörenden Worte benutzte, da wurde eine ganze Lawine an unerwarteten Ereignissen ausgelöst.
Aber diesmal passierte nichts.
Der Schnee tobte weiterhin, auf der Straße war keine Menschenseele zu sehen und der Wind war so stark, dass Sarah kaum atmen konnte. Sie zog ihren Schal hoch, so dass er den Mund bedeckte und machte sich auf den Weg.
Sie musste theoretisch nur zu der Schnellstraße gelangen, durch die Unterführung auf die andere Seite gehen und dann einige Hundert Meter zum Haus ihrer Eltern laufen. An einem normalen Tag wären es höchstens 15 Minuten zu Fuß. Aber nur der liebe Gott wusste, wie lange es heute dauern würde.
Als sie zur Unterführung gelangte, war sie so durchfroren und durchnässt, dass sie am liebsten umkehren würde. Aber die Hälfte des Weges hat sie gerade hinter sich gebracht, also wäre es völliger Blödsinn. Außerdem war es in der Unterführung etwas ruhiger, der Wind war hier zwar fast genauso stark, es zog hier richtig gespenstisch, aber wenigstens blieb der Schneesturm draußen und Sarah konnte ihre Augen öffnen. Die Unterführung war ihr immer etwas unheimlich, sie mochte sie gar nicht, auch am helllichten Tag nicht, geschweige denn an einem Abend, wo außer ihr keiner unterwegs zu sein schien.
Wobei ihr ausgerechnet jetzt jemand entgegen kam. Sarah bemerkte einen Schatten am Ende der Unterführung. Sie blieb stehen und rieb sich Schneereste aus den Augen. Sie dachte kurz an ihr Augen Make-up, es musste nun völlig verwischt sein, bestimmt sah sie jetzt aus wie ein Gespenst oder wie Alice Cooper. Alice Cooper im Wunderland.
Der Schatten bewegte sich wieder ein Stück auf sie zu.
Sarah wurde unsicher. Wer oder was könnte das sein? Wenn sie jetzt schreien würde, würde sie sowieso keiner hören.
Am besten zurück laufen, dachte sie in Panik. An der erstbesten Tür klingeln und die Polizei rufen. Oder einige Minuten abwarten und dann nach Hause gehen und den Abend in Ruhe verbringen.
Beschwörungen haben eine ungeheure Macht...
Sie wollte, dass irgendetwas passierte, und da war es nun, mit ein wenig Verspätung, aber es war da… Also, nichts wie zurück und zwar im Galopp. Wer sich um dieser Uhrzeit und bei diesem Wetter hier herumtreibt kann nur ein kranker Perverser sein.
Oder ihr Halbbruder Toby.
„Toby?“ fragte sie sicherheitshalber. Das Echo ihrer Stimme klang unheimlich. Ihre Frage blieb ohne Antwort.
„Toby! Bist du das? Es ist nicht lustig!!!“ schrie sie.
Keine Antwort.
Bloß weg hier, dachte sie sich und drehte sich um.
Und in diesem Augenblick kam ein gellender Schrei aus ihrer Kehle. Hinter ihr, wo vor einer Minute noch der Eingang zur Unterführung war, befand sich eine Wand, eine glatte, geflieste Wand, wie die Wände links und rechts von ihr. Erschrocken drehte sie sich wieder in Richtung Ausgang.
Der Schatten bewegte sich auf sie zu.
Sarah presste die Augenlider zusammen.
Gleich würde dieser Perverse zu ihr kommen, er würde sie erwürgen und ihre Leiche schänden und dann vielleicht noch zerstückeln und hier im Tunnel liegen lassen, bis sie morgen von den Spaziergängern gefunden werden würde.
Sie hörte ein aufgeregtes Hecheln und erstarrte. Wie widerlich das war, warum mussten diese Leute so viel Spaß an ihren perversen Handlungen haben…
Etwas Feuchtes und Kaltes berührte ihre Hand. Sarah zuckte zusammen.
Doch nichts passierte. Sie öffnete vorsichtig ein Auge.
Es war nur Merlin.
Er stand zu ihren Füßen und berührte mit seiner Nase ihre Hand. Die Nase war feucht und kalt, eben eine gesunde Hundenase. Der Hund hechelte laut und Sarah erinnerte sich, dass es ihm früher wegen des dicken Fells selbst beim schlimmsten Sauwetter warm war.
Sarah ließ die angestaute Luft aus ihren Lungen raus und begann zu lachen. Sie lachte und lachte und konnte nicht aufhören. Welch eine Erleichterung. Der Schatten war nur der Hund und die Wand hinter ihrem Rücken war bestimmt auch nur ein Produkt ihrer lebhaften Phantasie.
Sie blickte sich um und ließ vor Schrecken die Geschenktüten fallen.
Die Wand immer noch da.
Schlimmer noch, sie bewegte sich auf sie zu, so als ob sie Sarah aus diesem Tunnel herausquetschen wollte, als gäbe es nur noch diesen einen Weg.
„Weißt du vielleicht, was das soll?“ fragte Sarah den Hund. Immerhin glaubten manche Völker, dass Tiere am Heiligabend sprechen konnten, vielleicht konnte der Hund es auch…
Aber Merlin sagte auch diesmal nichts, er bellte nicht einmal. Stattdessen tippte er mit seiner Schnauze Sarahs Manteltasche an.
„Was ist denn? Ich habe keine Leckerlies für dich.“ sagte Sarah. Sie steckte die Hand in die Manteltasche und fand ein Stück Papier. Die zerknüllte Papierrolle, die sie an ihrem Haus in die Tasche steckte. Sie rollte sie wieder aus.
‚Folge dem Hund’, las sie erneut.
„Na gut, wenn du meinst…“ seufzte sie und empfand fast so etwas wie Erleichterung. Was auch immer hier geschah, waren zumindest keine Perversen da. Und - was sie für kurze Zeit befürchtete - auch keine arroganten Kerle mit unmöglichen Frisuren, die einem das Blaue vom Himmel versprachen und seltsame Wünsche äußerten.
„Fürchte mich, liebe mich, und ich werde dein Sklave sein“ erinnerte sich Sarah an die längst vergessen geglaubten Worte des Koboldkönigs.
Sie zuckte mit den Schultern.
Auf jeden Fall schien hier etwas Magisches vor sich hinzugehen, und was auch immer es werden sollte, es war jedenfalls eine interessantere Aussicht, als das Weihnachtsfest mit ihrer Stiefmutter.

Kapitel 5
Der Baum der Erinnerungen


„Worauf warten wir noch. Los, lass uns gehen.“ sagte Sarah zu Merlin. Dieser schüttelte sich wieder und lief munter vorwärts. Sarah folgte ihm langsam. Sie ahnte schon, dass sie auf der anderen Seite des Tunnels nicht die spießigen Einfamilienhäuser vorfinden würde. Da war sicherlich etwas Anderes, Unerwartetes, vielleicht eine neue Welt oder ein… ein Labyrinth?
Zu ihrer Überraschung war auf der anderen Seite der Unterführung alles unverändert.
Sarah wurde wieder unsicher. Wo bitte schön blieb die Magie und was sollte das alles hier? War es irgendein Spielchen? Wenn ja, hätte sie es gerne, dass ihr jemand bitte die Spieregeln erklären würde.
Es war aber niemand zu sehen.
Die Straße führte nach wie vor zwischen den gepflegten Häusern, von denen die meisten mit einer kitschigen Weihnachtsbeleuchtung geschmückt waren.
Irgendetwas war hier wirklich eindeutig faul.
Sarah traute sich nicht, über ihre Schulter zu blicken. Was auch immer da in diesem Tunnel war, es war hoffentlich vorbei. Vielleicht war es nur eine Einbildung und es hatte nichts mit Magie zu tun. Alles hier draußen war nämlich wie gewohnt und die Idee, den Abend mit ihrer Stiefmutter zu verbringen erschien Sarah auf einmal doch gar nicht so übel.
Ja, gar verlockend.
Ein ganz normales, warmes Haus, ein halbwegs gutes Essen und ein Glas Wein. Den nervigen Toby könnte man einfach ignorieren und die Fragen der alten Tanten nach Sarahs Heiratsplänen einfach nur mit einem geheimnisvollen Lächeln beantworten, welches zum Beispiel bedeuten könnte, dass es da draußen irgendeinen wunderbaren Mann gibt, den sie möglicherweise bald ehelichen würde. So ein geheimnisvolles Lächeln könnte überhaupt ziemlich alles bedeuten und das war das Perfekte daran. Schweigen ist Gold, wie wahr diese alte Regel war. Die alten Tanten hätten dann das ganze Jahr über etwas zu tratschen, die Stiefmutter würde vor Neugier fast platzen und Toby hätte wieder etwas, worüber er sich lustig machen könnte. Somit hätten alle was davon. Und Sarah selbst hätte ihre Ruhe und außerdem das unglaublich gute Gefühl, sie alle an der Nase herumgeführt zu haben.
Nur ihr armer Vater würde schweigend da sitzen, und sich seufzend die Stirn reiben und Sarah besorgt anschauen. Er würde erkennen, dass all das nur Show sei. Aber ihrem Vater brauchte sie nichts vorzuspielen, denn er kannte sie nun mal wie kein anderer.
Außer vielleicht …
‚Stopp’ – dachte sich Sarah zum zweiten Mal an diesem Abend. Verdammt, was war denn heute los mit ihr? Was brachte sie heute dazu, ständig an Jareth zu denken? Ja, ja, schon klar, er war tatsächlich derjenige, der sie am besten kannte. Er war der erste Mann, der in die tiefsten Schichten ihres Unterbewussten zu blicken schien, der jeden Gedanken von ihr lesen konnte, aber es war vor 20 Jahren, verdammt noch mal. Seit sie vom Labyrinth zurückkehrte, hat sie mit ihm innerlich abgeschlossen. 20 Jahre lang zwang sie sich, nicht an diesen Mann zu denken, und es gab nun wirklich keinen Grund, das ausgerechnet jetzt zu ändern. Vielleicht war es einfach nur dieses Gefühl, das sich seit heute morgen besonders stark manifestiert hat. Dieser Wunsch, einfach zu verschwinden, irgendwo unterzutauchen, von allen in Ruhe gelassen zu werden.
Aber es war doch Weihnachten, das Fest der Liebe, was bedeutete, dass man den Anderen zeigen musste, wie lieb man sie hatte, auch wenn man sie im Inneren vom Herzen hasste, sie und ihren kitschigen Weihnachtskram, über den man überall nur stolperte.
Das Haus ihrer Eltern würde wahrscheinlich die prachtvollste Dekoration haben, Rebecca betrachtete das als eine Art persönliche Herausforderung und Ehre, jedes Jahr die schönste – zumindest in ihren Augen - Weihnachtsdekoration zu haben. Dazu gehörten unzählige psycholdellisch blinkende, am Haus angebrachten Lichterketten, einige Rentiere aus Plastik im Vorgarten und zwei Tannenbäume: einer im Haus und einer – möglichst groß und übertrieben geschmückt – draußen im Garten. All das sollte den Nachbarn zeigen, dass sich Sarahs Stiefmutter solche ausgefallene Ideen leisten kann, und noch weiteren Schnickschnack, z.B. einen Bewegungsmelder, der beim Öffnen des Gartentors eine stark vereinfachte elektronische Version von „Last Christmas“ spielte und den Sarah jedes Jahr am liebsten mit einem gezielten Tritt ins Jenseits befördern würde. Sarahs Vater würde es wahrscheinlich begrüßen, er seufzte immer verzweifelt, wenn er dieses Ding eine Woche vor Weihnachten am Gartentor anbringen musste. Er hatte aber nie den Mut, sich seiner Frau zu widersetzen, die sich selbst immer gerne als eine starke Persönlichkeit bezeichnete, die Sarah jedoch einfach für eine selbstsüchtige, aufgeplusterte Henne hielt.
Der Schneesturm beruhigte sich so plötzlich, wie er auch kam.
Sarah atmete auf und schob den Schal von ihrem Mund an den Hals, da, wo er hingehörte. Sie konnte wieder frei atmen. Der Hund schien sie direkt in das Elternhaus zu führen. Gleich würde sie an das Haus ihrer Eltern kommen, das Gartentor öffnen, sich eine Portion „Last Christmas“ reinziehen und dann ins Warme kommen, sich die Haare kämmen und das Gesicht waschen. Vielleicht könnte sie sich Wimperntusche und Lidschatten von ihrer Stiefmutter leihen und den verwischten Alice-Cooper-Look loswerden. Und sie würde sich etwas einfallen lassen müssen, um das Fehlen von Geschenken zu rechtfertigen. Denn jetzt umzudrehen und sie zu holen - das kam nicht in Frage, Einbildung hin oder her. Sarah dachte sich, sie würde das Ganze möglichst realistisch erzählen. Sie sei im Tunnel von irgendwelchen Perversen überrascht worden, die in der Unterführung Marihuana geraucht haben. Sarah bekam von der verpesteten Luft Halluzinationen, hat sich dann sehr erschrocken, habe die Tüten fallen lassen und sei weggelaufen – es tue ihr sehr Leid, aber aus diesem Grund habe sie keine Geschenke dabei. Aber eventuell könnte man doch gemeinsam noch einmal zur Unterführung gehen und schauen, ob die Tüten da immer noch liegen würden. Vielleicht haben diese Typen sie noch nicht gestohlen.
Ja, die Ausrede klang sachlich und plausibel und Sarah verspürte tatsächlich so etwas wie Freude auf das bevorstehende Fest. Ach ja, und sie würde sich sogar gerne bei Toby für den Hund bedanken. Ihr Bruder hat ihr zwar damit einen Riesenschrecken eingejagt, aber letzten Endes, wie es schien, hatte Toby doch so etwas wie ein Herz, wenn er ihr diesen Hund schenkte, der Merlin bis aufs Haar glich. Toby kannte den Hund nur von alten Familienfotos. Er war zu klein, um sich an ihn zu erinnern. Den Namen „Merlin“ könnte man übrigens ruhig behalten, schließlich sahen beide Hunde gleich aus… „Merlin II.“ vielleicht, das klang aristokratisch und stolz und würde diesen Merlin von ihrem ersten Hund unterscheiden.
Merlin II. blieb plötzlich stehen und schaute zu Sarah. Er bellte kurz, als würde er Sarah auf etwas aufmerksam machen.
„Was willst du denn? Hier ist nichts, lauf weiter!“ sagte Sarah zu ihm.
Der Hund bewegte sich aber keinen Millimeter. Er starrte einen großen, knorrigen Baum an, der am Rande einer kleinen Grünanlage wuchs, und wimmerte leise dabei.
„Na komm, sonst wird das Essen kalt“ sagte Sarah und ging einige Schritte weiter, doch der Hund machte keine Anstalten, ihr zu folgen. Stattdessen setzte er sich auf seinen Hintern und starrte weiter den Baum an. Sein Wimmer wurde etwas lauter.
„Was siehst du da, hm? Ein Eichhörnchen? Halten die nicht ihren Winterschlaf?“ Sarah ging auf den Hund zu. Sie beugte sich, streichelte ihn, richtete sich wieder auf und schaute auf den Baum. Es war eine alte Eiche, bestimmt 300 Jahre alt, oder sogar noch älter. Sarah wusste, man konnte das Alter eines Baumes ermitteln, indem man ihn fällte und die Jahresringe zählte, aber sie hoffte, niemand würde so schnell auf diese glorreiche Idee kommen. Dass die Abgase den Baum bislang nicht getötet haben, war eine Art Wunder und sicherlich nur deshalb trug der Baum eine kleine Plakette, auf der „Naturdenkmal“ stand. Solche Plaketten waren in Sarahs Augen eine Art Tapferkeitsmedaille für jene Bäume, die es in dieser schrecklichen Welt geschafft haben, zu überleben. Dieser Baum schien der Luftverschmutzung relativ gut zu trotzen, denn er stand da, seit Sarah sich erinnern konnte. Im Frühjahr ergrünte er immer schüchtern, im Sommer spendete das saftig grüne Laub kühlen Schatten und im Herbst verfärbten sich die Blätter und die Eicheln fielen tonnenweise auf den Rasen, zur Freude der zahlreichen Eichhörnchen.
Als Kind fand Sarah diesen Baum sehr geheimnisvoll. Sie kam damals oft hierher mit ihrer Mutter. Sie spielten zusammen unter dem Baum und Sarah war überzeugt, dass der Baum in Wirklichkeit verzaubert sei und dass eine Hexe darin wohne.
Diese Vermutung blieb jedoch unbestätigt, denn eine Hexe konnte Sarah nie in dem Baum entdecken, obwohl sie sogar, als sie 11 war, darauf geklettert ist und in eine kleine Höhle gespäht hatte, die etwa 3 Meter über dem Boden war. Damals fand sie in der Höhle nur einige Blätter vom Vorjahr, weißen Vogelflaum, einen schmutzigen Federball und eine Schokoriegelverpackung.
Sarah schloss die Augen. Einen Augenblick lang ist es ihr vorgekommen, als wäre es Sommer und als wäre sie selbst wieder 11 Jahre alt. Sie sah sich selbst auf den Baum klettern und ihre Mutter, die lachend unten stand und fragte, ob Sarah denn ihre Hexe endlich entdeckt habe und falls ja, solle sie die Hexe bitten, eine Flasche kaltes Mineralwasser zu zaubern.
Ach, Mutter, wo bist du jetzt? Warum bist du jetzt nicht mit mir hier, am Heiligabend, unter diesem Baum?
Sarahs Augen brannten verdächtigt.
‚Nein, ich werde nicht heulen’ dachte sie tapfer. ‚Das ist nur der Wind, der meine Augen tränen lässt. Nur der Wind’.
Sarah öffnete entschlossen die Augen. Der Himmel klarte auf und ein riesiger Vollmond schaute verschlafen auf die Erde herunter. Der Wind wurde in der Tat wieder stärker. Er pfiff in den Ästen der alten Eiche und bewegte ihre Zweige.
Auf dem verschneiten Boden tanzten geheimnisvolle Schatten.
„Wuff!“ sagte Merlin wieder.
„Ja, Merlin, das ist die Hexenhöhle, weißt du? Dein Vorgänger, Merlin I. kannte diese Höhle sehr gut. Übrigens verhielt er sich oft ähnlich wie du, er setzte sich vor den Baum, bellte oder wimmelte. Das brachte mich überhaupt auf die Idee, dass in dieser Höhle eine Hexe wohnte… Merlin I. kam oft mit uns hierher, mit mir und meiner Mom und…“ Sarah seufzte. „Ist egal. Alte Zeiten. Aus und vorbei. Aber es ist schon eine lustige Erinnerung. Diese Hexengeschichte… Ich habe mir fast die Hand gebrochen, als ich damals den Baum wieder runter kletterte und habe mir ein paar wunderschöne blaue Flecken geholt... Ob der Federball und die Schokoriegelverpackung immer noch da drin liegen?“
Sarah schmunzelte, kam näher an den Baumstamm und berührte seine Rinde. Es fühlte sich ein wenig an, als würde sie die Vergangenheit berühren.
Sie schaute hoch und stieß einen kurzen Schrei aus.
Am Rand der Baumhöhle saß eine weiße Schleiereule.

Kapitel 6
Jareth


Wenn der Baum die gute Vergangenheit darstellte, so war die Eule ein Symbol jener Vergangenheit, die Sarah am liebsten aus ihrem Gedächtnis auslöschen würde. Die Erinnerung an Jareth tat eben weh und sie hatte schon genug in ihrem Leben, was ihr weh tat. Mehr davon konnte sie nun wirklich nicht gebrauchen. Am meisten schmerzhaft war dabei aber die Gewissheit, dass es alles anders hätte ausgehen können.
Mit einem Wort von ihr.
Mit einer Geste von ihm.
Wären sie beide nicht so verdammt stolz gewesen.
Dabei hat sie sich diesem Mann damals so gewünscht, nach ihm hat sie sich gesehnt, seit sie zum ersten Mal verstanden hatte, was Liebe bedeuteten könnte.
Sie erinnerte sich noch gut daran, sie war 12 Jahre alt, es war Frühling und sie ging mit ihrer Mom einkaufen. Mom hatte einige Monate davor ihren Dad und sie verlassen und lebte nun mit ihrem neuen Lebensgefährten Jeremy zusammen. An den Wochenenden holte Mom Sarah zu sich und zu Jeremy. Sie hatten immer viel Spaß und Sarah konnte schon irgendwie verstehen, dass Mom den Jeremy ihrem Dad vorgezogen hatte. Er war viel lustiger als Dad. Zumindest hat Sarah nie gesehen, dass Jeremy sich die Stirn rieb und dabei seufzte, was Dad eigentlich ununterbrochen tat. Stattdessen erzählte Jeremy immer Witze, lustige Theatergeschichten und irgendwelchen Klatsch über die Schauspielerkollegen. Das gefiel Sarah sehr. Sie dachte auch lange Zeit, das sei das einzige, was Mom an Jeremy so toll fand. Doch an diesem Frühlingstag, als sie mir ihrer Mom und Jeremy durch die Einkaufsstraßen bummelte und dieses wunderschönes Kleid im Schaufenster sah, an diesem Tag verstand sie auch, was die Liebe ist.
Sie blieb damals vor dem Schaufenster stehen und schaute sich das Kleid mit solch einer Begeisterung an, dass Jeremy vorschlug, sie sollten alle reingehen und Sarah könnte das Kleid einfach anprobieren. Wenn es ihr passen sollte, würde Jeremy es ihr schenken.
Während sich Sarah in der Umkleidekabine aus ihrer Jacke befreite und das aufwendig geschnittene Kleid anzog, warteten ihre Mom und Jeremy draußen. Als Sarah den Vorhang zur Seite schob, um sich in dem Kleid zu präsentieren, sah sie etwas, wovon ihr der Atem wegblieb. Ihre Mutter saß auf dem Schoß von Jeremy, auf einer gepolsterten Bank. Die Arme ihrer Mutter umschlungen Jeremys Hals. Moms und Jeremys Lippen berührten sich, sie waren leicht offen und Sarah sah, dass ihre Zungen sich berührten, als würden sie miteinander ein geheimnisvolles Spiel spielen.
Die Augen der beiden waren geschlossen und Jeremys Hände fuhren langsam durch das lange Haar ihrer Mutter.
Bislang fand Sarah es ekelhaft, wenn sich Leute im Fernsehen abknutschten oder wenn in der Schule die älteren Mädchen händchenhaltend mit Jungs gingen.
Doch an dem Tag wurde alles anders.
Sie fand es auf einmal nicht mehr eklig, stattdessen wurde sie schrecklich wütend, ohne zu wissen, warum und auf wen. Und sie spürte noch etwas, eine unbekannte Wärme, die ihren Körper prickelnd durchströmte. Sie wollte auch auf Jeremys Schoß sitzen, sie wollte dass seine Küsse ihre Lippen bedeckten. Sie verstand plötzlich, warum sich Menschen zueinander hingezogen fühlen, sie fühlte es jetzt mit jeder Faser ihres Körpers.
Dann, ganz plötzlich, überströmte sie wieder das bekannte Ekelgefühl.
Neee… doch nicht dieser Jeremy. Den würde sie doch nicht küssen wollen. Im Grunde war Jeremy viel zu gewöhnlich, um ihm ihr Herz zu schenken.
Aber irgendein wunderbarer, ungewöhnlicher Mann, er könnte auch ruhig so blond und schlank wie Jeremy sein, er könnte auch dasselbe zynische Lächeln haben und auch diese Art, Sarah anzuschauen…
Seit diesem Tag im Einkaufszentrum träumte Sarah von ihrem Märchenprinzen.
Er begegnete ihr zwei Jahre später.
In Gestalt einer weißen Schleiereule kam er in ihr Zimmer. Er war nicht nur ein Prinz, er war ein König und dazu noch so teuflisch attraktiv, dass Sarah sofort ihren Kopf für ihn verlor. Doch dann lief alles schief, was nur schief laufen konnte, wie es meist so ist, wenn die Wünsche wahr werden.
Sarah dachte plötzlich an dieses alte Märchen, in dem ein Mann drei Wünsche frei bekommt und sich dann versehentlich eine Bratwurst zum Abendessen wünscht. Als er nach Hause kommt, sieht er, dass ihm seine Frau eine Bratwurst zubereitet hatte. Wütend, einen Wunsch verschwendet zu haben, wünscht er sich, dass die Bratwurst seiner Frau an sie Nase anwächst, was selbstverständlich auch geschieht. Dem Mann bleibt nichts anderes übrig, als mit dem letzten Wunsch die Bratwurst von der Nase seiner Frau wegzuzaubern.
Ja. So dumm kann es laufen. Wie das Märchen und auch Sarahs eigene Erfahrung lehren, waren Wünsche also eine gefährliche Sache und man sollte am besten eben die Finger davon lassen.
Also weg hier.
Bloß keine Eulen mehr, keine Kristallkugeln, keine arroganten Blicke. Bloß nicht wieder den Kopf verlieren.
Doch als Sarah den ersten Schritt tun wollte, stellte sie fest, dass sie wie angewurzelt da stand. Die Angst lähmte sie und sie war nicht in der Lage, sich zu bewegen. Vielleicht war es auch nicht die Angst, sondern der Blick der Eule.
Die Augen der Eule betrachteten sie mit einer absoluten Gleichgültigkeit.
‚Lass mich gehen, du Mistvieh, guck mich nicht so an’ dachte Sarah wütend.
Die Eule bewegte sich nicht. Merlin II. dagegen wedelte ausgelassen mit dem Schwanz, als würden ihn die Ereignisse unheimlich erfreuen.
„LASS MICH DOCH GEHEN!!!“ brüllte Sarah aus vollen Leibeskräften. Vielleicht würde sie irgendjemand hören, die Tür aufmachen und sie befreien. Wobei „befreien“ nicht das richtige Wort war, denn keiner hielt sie hier fest. Müsste sie jetzt jemandem erklären, was mit ihr los sei, könnte sie vermutlich auch keine richtigen Worte finden.
Da war nur dieser Blick, kalt, gefühllos, fesselnd.
Aus den geschmacklos blinkenden Häusern kam natürlich kein Mensch. Na super. Vielleicht waren sie alle bereits an ihren Truthähnen erstickt, oder so besoffen, dass sie sich nichts mehr hörten oder sich nicht mehr bewegen konnten.
„Was willst du von mir?!?“ schrie Sarah schließlich machtlos.
Die Eule saß immer noch regungslos da.
Sarah atmete tief durch.
Ihre Wut war scheinbar nicht der richtige Weg. Aber es gab ja immer verschiedene Wege, um aus einer misslichen Lage herauszufinden, das lernte sie schon vor langer Zeit, während ihrer Reise durch das Labyrinth. Diese Wege musste man nur entdecken können. Sarah blickte der Eule in die Augen, so, wie man einen bekannten Menschen anblickt, den man lange nicht gesehen hat.
„Jareth?“ fragte sie leise.
In diesem Augenblick erkannte sie, dass dies der richtige Weg war. Als wäre der Name ein Zauberwort, flog die Eule vom Baum herunter. Ihre Flügel wirbelten wieder den Schnee hoch. Wie damals, wie bei ihrer ersten Begegnung, versteckte Sarah das Gesicht in ihren Oberarmen.
Dann wurde es plötzlich still.
Sarah nahm die Hände vom Gesicht weg.
Da war er wieder.
Immer noch stolz und so unverschämt gut aussehend, immer noch von oben herab blickend und arrogant lächelnd.
Er trug einen schwarzen Umhang, ein weißes Rüschenhemd und eine Weste. Genau wie damals. Sein Hemd stand offen und an seinem Hals sah Sarah einen sichelförmigen Anhänger. Sie erinnerte sich an das Briefsiegel, aber dieser Gedanke war jetzt wie ein fernes Echo. Jareths Anwesenheit war das einzige, was im Augenblick zählte.
Wenn sie nach ihren Gefühlen handeln sollte, müsste sie zu ihm rennen, ihn umarmen und sein Gesicht mit Küssen bedecken. Und dann einfach in seine Armen sinken, seinen Herzschlag hören und wieder dieses Gefühl erleben, das sie vor Jahren beim Betrachten von Ihrer Mutter und Jeremy hatte. Dieses geheimnisvolle Gefühl, das ihr später noch einmal zuteil wurde, als sie in Jareth Armen durch den Ballsaal glitt.
‚Stopp’ - befahl sie sich zum dritten Mal an diesem Abend.
Seinem Charme zu unterlegen wäre hier und jetzt keine gute Lösung. Genau genommen wäre es zu keinem Zeitpunkt eine gute Lösung, es wäre vielmehr überhaupt keine Lösung, denn es würde nur eine Lawine an Problemen auslösen.
Sarah blickte Jareth schweigend in die Augen, und hoffte, dass ihr Blick genug Entschlossenheit und Härte vermittelte.

Kapitel 7
Die Begegnung


Jareth schaute Sarah höhnisch an.
„Oh, mit einem solchen Freudeausbruch habe ich nicht gerechnet. Ich freue mich auch, dich zu sehen, Sarah“ sagte er mit einer höflichen Stimme und hob eine Augenbraue hoch. Sarah hasste diese Stimme. Sie konnte sich noch allzu gut daran erinnern und sie wusste, wenn Jareth auf diese Weise mit ihr sprach, bedeutete das alles Andere, nur keine Höflichkeit.
„Was willst du von mir?“ fragte Sarah hart. Bloß nicht nachgeben. Ich bin hier die Stärkere, ich habe ihn besiegt. Er hat keine Macht über mich.
„Ich von dir? Verwechseln wir da nicht etwas?“ Jareths Lächeln wirkte noch ein Stück amüsierter.
„Was heißt hier ‚wir’? Es gibt kein ‚wir!’. Und ICH - ich verwechsle mit Sicherheit nichts. Ich fragte ganz einfach, was du von mir willst. Das ist alles. Wobei, wenn ich ehrlich sein sollte, müsste ich lieber fragen, was dieser Zirkus hier bedeutet“ Sarah machte eine weite Geste.
„Oje, oje, so viele Fragen in dem kleinen Köpfchen, die ohne Antwort bleiben. Da wollen wir doch Abhilfe schaffen. Aber zunächst erlaube doch bitte, dass ich eine Gegenfrage stelle: welchen Zirkus meinst du denn?“
„Die Sache mit der Unterführung natürlich. Und ich wette, der Schneesturm und der Wind waren auch dein Werk.“
„Der Schnee und der Wind – ich bekenne mich schuldig. Musste sein, sonst wärst du ja nicht zu Fuß gelaufen. Aber der Tunnel? Was für einen Tunnel meinst du denn?“
Sarah schaute ihn wütend an. Litt er etwa an Demenz oder was war mit ihm los?
„Na DEN Tunnel! Aus dem ich gekommen bin! Die Unterführung!“ fauchte sie wütend. „Mach dass diese verflixte Wand verschwindet und lass mich nach Hause gehen!“
„Eine Wand? Na so was. Haben wir etwa zu viel Wein getrunken? Welche Wand meinst du, meine Liebe?“ fragte Jareth immer noch sehr höflich. Seine Augen funkelten.
Sarah drehte sich um und streckte die Hand aus. Doch ihr Zeigefinger deutete ins Leere.
„Diese…“ stammelte sie. „Diese… ähm…“
Die Unterführung war weg. Mehr noch: die Schnellstraße und der ganze Viertel waren verschwunden. Stattdessen sah Sarah eine weite, weiße Fläche, ohne Häuser, ohne Bäume. Der Schnee glitzerte im Mondschein und es herrschte absolute Stille. Der Anblick war eigentlich wunderschön, doch Sarah war viel zu wütend, um das zu bemerken.
„Schon wieder irgendwelche Spielchen! Ich hasse es! Und ich hasse dich!!!“
„Na, na, na. Nicht so wild“ flüsterte ihr Jareths ins Ohr. Er stand jetzt direkt hinter ihr. Sie roch seinen angenehmen, dezenten Duft, sie spürte die Wärme seines Körpers. Die Aufregung ließ ihr Herz höher schlagen. Sie wollte ihn berühren und sie wollte von ihm berührt werden.
‚STOPP’ befahl sie sich wieder. Oh, nein, mein Herr. So leicht mache ich es dir nicht. Ich kenne deine Tricks.
„Damit hätten wir also die erste Frage geklärt.“ hörte sie Jareths Stimme. „Es gibt keinen Tunnel, es gibt keine Wand. Du kannst nicht nach Hause, weil es hier kein Zuhause gibt.“
Sarah fuhr um.
„Dann gehe ich eben zu meinen Eltern du arroganter…“
„Ja, bitte? Du arroganter was?“ fragte Jareth amüsiert und legte sie die offene Handfläche ans Ohr, als würde er besonders aufmerksam zuhören wollen. Sarah erinnerte sich an diese Geste, aber sie sagte nichts weiter, denn als sie sich umgedreht hat, erlebte sie eine weitere Überraschung. Hinter Jareth war auch nichts mehr. Nur der Baum und diese Landschaft, ruhig und verträumt im Mondlicht.
„Ich hasse dich!“ schrie sie wieder.
„Du wiederholst dich, meine Liebe“ sagte Jareth. Seine Augen funkelten spöttisch. „Ist es bei euch Menschen so, wenn ihr älter werdet?“
Sarah würdigte ihn keines Blickes. Ja, ja. Vor wenigen Stunden dachte sie zwar selbst, sie sei alt, aber es ist noch was anderes, wenn man es selbst denkt und etwas völlig anderes, es von einem Mann zu hören. Von diesem Mann. Sie ließ ihren Blick mit absichtlicher Gleichgültigkeit über die Landschaft schweifen.
„Nun, kommen wir also zu deiner zweiten Frage: was ich von dir wollen würde. Dazu auch eine kurze Gegenfrage: was willst DU von mir? Du warst doch diejenige, die mich heute gerufen hat.“
„Ich? Niemals!“ fauchte Sarah. Sie sah aus wie eine wütende Katze, die nur darauf wartet, ihrem Gegner ins Gesicht zu springen.
„Oh, da war also niemand einsam und verzweifelt und niemand träumte davon, dass etwas das Weihnachtsfest bei der bösen Stiefmutter verhindert?“
„Ich war’s jedenfalls nicht. Ich freute mich auf das Fest und habe dich nicht gerufen. Vielleicht war es eine deiner anderen Liebschaften“ erwiderte Sarah schroff.
Jareth hob wieder fragend eine Augenbraue, warf dann den Kopf in den Nacken und brach in schallendem Gelächter aus.
„Andere Liebschaften? Wie kommst du denn darauf, dass du je eine davon gewesen bist?“ fragte er.
Sarah errötete. Was für ein verdammter Mistkerl. Hat wohl auf alles eine Antwort, die einen aus der Fassung bringt.
„Ich meinte nur… ich… ich habe… Ach, zum Teufel mit dir, Jareth. Die Antwort lautet: JA. Ja, ja, ja und nochmals ja. Ich habe an dich gedacht, zugegeben. Es war einfach nur so ein Gedanke, ich habe über alte Zeiten nachgedacht, sonst nichts. Und ich dachte auch, dass es schön wäre, wenn ich nicht zu meinen Eltern müsste. Aber das waren zwei separate Gedanken und ich habe es nicht so gemeint.“
„Oh, wir wiederholen uns schon wieder, wie traurig…“ sagte Jareth mit gespielter Sorge. „Ich dachte, dieses ‚ich habe es nicht so gemeint’ hätten wir schon durchgenommen vor etwa…. Ja vor etwa 20 Jahren...“
„Aber diesmal habe ich es wirklich nicht so gemeint, ich wollte einfach nur nicht zu meinen Eltern, dass ist alles.“
„Nun. Du musst also nicht hin. Zufrieden?“
„Nein!“ schimpfte Sarah. „Denn ich habe dich definitiv nicht gerufen!“
„Wirklich nicht?“ fragte der Koboldkönig. „Und was war das?“ Jareth machte eine ausholende Geste mit seinem rechten Arm. Die Luft über seiner Handfläche verdichtete sich und bildete plötzlich eine Kristallkugel, die zu funkeln begann. Aus dem Glitzerstaub ertönte der Song, den Sarah heute im Radio hörte:

I just want you for my own
More than you could ever know
Make my wish come true...
All I want for Christmas
is You...

„Aber das ist doch nur ein bescheuerter, schmalziger Weihnachtssong! Das ist nicht fair!“
„Es ist mehr als fair, meine Liebe“ sagte Jareth ruhig. „Oder wusstest du etwas nicht, welche ungeheure Macht die Musik hat?“
„Was für eine Macht denn?“ fragte Sarah. Sei verstand immer weniger von diesem ganzen Dialog und merkte, dass sie sich wieder hat provozieren lassen. Leider war sie diesmal, wie es schien, nicht die Gewinnerin.
„Die Macht der Musik, liebe Sarah, ist schwer zu beschreiben, weil die Musik gerade das ausdrückt, was wir mit Worten nicht ausdrücken können. Sie macht das unsichtbare sichtbar und das unhörbare hörbar. Sie bringt heimliche Wünsche an die Oberfläche, so dass sie erhört und erfüllt werden können.“
Sarah schwieg. Langsam begann sie, zu begreifen.
Jareth neigte den Kopf zur Seite.
„Vor zwanzig Jahren habe ich dir doch auf diese Weise etwas versprochen, weißt du noch?“ sagte er, schnipste mit den Fingern und die Luft um die Kristallkugel begann aufs Neue zu glitzern.

„But I’ll be there for you
as the world falls down”

hörte Sarah einen Ausschnitt aus einem längst vergessenen Song. Komisch. Jetzt konnte sie sich plötzlich an ihn erinnern. An jede Zeile, an die Melodie, an das Gefühl, das sie dabei hatte. Die Berührung von Jareth, seine Hand an ihrer Taille und dieser Augenblick, in dem sie sich hätte küssen können…
NEIN.
Oh, nein, und nochmals nein, mein Herr. Nicht auf diese Tour.
„Und was bitte schön hast du mir damit versprochen?“ fragte sie mit gespielter Unverständnis.
„Ich habe dir damit versprochen, für dich da zu sein, selbst wenn die Welt unter geht. Und der heutige Tag wäre viel mehr als das für dich. Er wäre die Hölle geworden. Wie jedes Jahr. Aber erst dieses Jahr hattest du den Mut, das zuzugeben“.
Sarah senkte den Kopf. Verdammter Wind, dachte sie sich. Und verdammter Jareth. Ihre Augen brannten wieder. Bloß nicht flennen. Bloß keine Schwäche zeigen.
Sie hob den Blick.
„Tja, selbst wenn du das damals so gemeint hast, habe ich trotzdem noch lange nicht um Hilfe gerufen. Ich habe eben nur Radio gehört. Falls du überhaupt weißt, was ein Radio ist, was ich an sich bezweifle, aber ich möchte dir versichern, dass ich…“
„Sarah“ unterbrach Jareth. „Ich habe dir schon mal gesagt, dass du mir nicht trotzen sollst. Du hast den Song mitgesungen und mich damit gerufen. Nun bin ich da.“
‚Nächstes Jahr singe ich einfach Last Christmas mit’ dachte Sarah ironisch. ‚Vielleicht erscheint mir dann George Michael als Hetero, mit seiner 80-ger Jahre Fönfrisur oder so’. Aber sie traute sich nicht, das laut zu sagen.
„Und was nun?“ fragte sie stattdessen ratlos.
Jareth lächelte triumphierend.
„Nun kommst du mit, genau wie du es dir gewünscht hast“ sagte er und streckte seine Hand nach ihr.
Sarah wusste, es war kein Spiel mehr. Sie wollte ihm auch nicht mehr trotzen. Denn sie war plötzlich müde, furchtbar müde.
Sie legte gehorsam ihre Hand in seine und spürte, wie alles tanzte. Wie damals, als sie den vergifteten Pfirsich aß. Nur dass diesmal kein Pfirsich da war, es war lediglich Jareths Berührung, die sie schwach werden ließ. War seine Berührung ein Gift?
Wenn ja, dann war es wohl ein Betäubungsgift, denn Sarah wurde plötzlich alles egal, bis auf diese Berührung, die ihr trügerische Sicherheit und Vertrauen vermittelte. Aber gerade diesem Mann durfte sie doch nicht vertrauen, diese Gefühle waren falsch, sie musste sich befreien… Aber noch nicht jetzt, vielleicht in einer Minute… oder noch später…oder gar nicht…
Die Landschaft wirbelte um sie herum.
Sarahs Augen fielen zu.

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But I'll be there for you, as the world falls down...

Cristal Moon Offline

Im Zentrum, im Schloss des Koboldkönigs!


Beiträge: 3.283

24.12.2009 01:19
#53 RE: Fanfiction Antworten

... und weiter geht's:

Kapitel 8 - Das Schloss

Es knisterte etwas.
Sarah war zu schwach, um die Augen zu öffnen. Es war so warm hier, so ruhig und sie war noch so müde. Sie wusste nicht, was sie geweckt hatte. Aber das war im Grunde egal. Sie war froh, einfach liegen zu können, sich auszuruhen und an nichts denken zu müssen.
Nicht einmal daran, wo sie jetzt war.
Es war alles egal.
Sie fühlte sich so müde, als hätte sie eine lange Reise hinter sich gehabt, als wäre sie tagelang unterwegs gewesen.
Aber das konnte nicht stimmen, denn selbst wenn sie sehr lange geschlafen hat, kann es höchstens einige Stunden her gewesen sein, als sie Jareth begegnete. Die Unterhaltung, die glitzernde Luft und die Musik… Jareths Augen, sein Blick voller Intensität. Und das Gefühl des Vertrauens, das sie mit aller Kraft versucht hat, abzuwehren…
Was geschah aber danach?
Sarah spürte plötzlich, wie sich die Bettdecke zu ihren Füßen bewegte. Etwas wimmerte leise. Mit viel Mühe und sehr langsam machte Sarah ihre Augen auf.
Sie lag in einem ihr unbekannten Zimmer oder besser gesagt: in einem Gemach. Der Raum war nämlich sehr groß, so dass das riesige Bett, in dem sie lag, vergleichsweise winzig erschien. Rechts vom Bett war ein hohes, schmales Fenster. Draußen war es hell, aber der Himmel schien bewölkt zu sein, denn von Sonnenschein war keine Spur zu sehen. Das Fenster war einen Spalt breit geöffnet, doch draußen war es ganz leise. Es war schon fast unheimlich, in ein offenes Fenster zu schauen und keine Geräusche von Draußen wahrzunehmen. Es war so, als wäre man ganz allein auf der Welt.
Sarah drehte den Kopf. Direkt vor Kopf befand sich eine massive Holztür mit einer Messingklinke und einem riesigen Schlüsselloch. Links vom Bett dagegen war ein Kamin, in welchem einige Scheite brannten. Das Feuer war hell und knisterte gemütlich.
Sarah wurde klar, dass es dieses Geräusch war, das sie geweckt hatte.
Das Wimmern dagegen kam vom Merlin, der am Fußende des Bettes saß und sie anschaute. Sarah atmete auf. Sie war doch nicht allein auf der ganzen Welt. Da war auf jeden Fall noch Merlin II. Seine treuen braunen Augen blickten Sarah mit einer gewissen Erleichterung an. So als ob der Hund sagen wollte: ‚Na endlich bist du aufgewacht. Wurde auch Zeit, habe mir schon Sorgen um dich gemacht!’.
Sie wandte den Blick von dem Hund ab und schaute sich noch einmal im Raum um. Wo war sie nur? Was war das überhaupt für ein Raum und wie lange lag sie schon hier? Die rauen Steinwände, die schmalen Fenster… woran erinnerte sie all das bloß?
„Merlin, wo sind wir denn hier?“ fragte sie den Hund. Ihre Stimme klang schwach. Gerne hätte sie sich im Bett hingesetzt, doch dazu fehlte ihr die Kraft.
War sie etwa im Schloss des Koboldkönigs?
Und wo war denn Jareth?
In diesem Moment öffnete sich die Tür.
Herein kam ein Kobold, der den linken Türflügel festhielt und Sarah seinen Hinterteil entgegen streckte, weil er eine tiefe Verbeugung vor jemandem machte, der anscheinend gerade im Begriff war, das Zimmer zu betreten.
Sarah hatte schon eine gewisse Vorahnung, wen sie gleich zu Gesicht bekommen würde.
An der Türschwelle erschien Jareth.
Er blieb stehen und schaute Sarah wortlos an.
Er sah so schön aus, dass Sarah ungewollt lächeln musste. Wie hübsch sein Gesicht war, seine Augen, sein schmaler Mund und diese süßen Fältchen links und rechts davon… Die wilde Frisur, die schmale muskulöse Gestalt… Er ist überhaupt nicht gealtert in diesen 20 Jahren, das konnte Sarah nun im Tageslicht genau erkennen.
Jareth trug heute ein graues Hemd, das wie immer leicht offen war, um einen Blick auf das sicherförmige Schmuckstück an seinem Hals zu gewähren. Die enge braune Hose steckte in schwarzen glänzenden Stiefeln. Er hatte etwas von einem graziösen Ballett-Tänzer, aber gleichzeitig etwas unheimlich maskulines in sich. Ein breiter brauner Gürtel mit einer silbernen Schnalle umfasste seine schmale Taille.
Sarah fuhr mit der Zungenspitze über ihre Lippen. Plötzlich hatte sie schrecklichen Durst. Sie würde ihr Leben für ein Glas kaltes Wasser geben. Sie warf einen kurzen Blick auf den Nachttisch, doch außer einer seltsam aussehenden Steinskulptur, die an einen Drachen erinnerte, stand da nichts weiter.
Sarah schaute wieder zu Jareth.
Ohne den Blick von ihr abzuwenden näherte er sich ihrem Bett.
Und dann setzte er sich einfach auf die Bettkante, als ob es die normalste Sache der Welt wäre, etwas, was Koboldkönige jeden Tag tun würden.
Er schwieg.
Nach einigen Sekunden, die Sarah wie eine Ewigkeit vorkamen, streckte er seine Hand aus und streichelte zärtlich über ihr Haar. Er schaute ihr immer noch in die Augen und lächelte.
War das wirklich derselbe stolze, arrogante Jareth, der sie gestern mit miesen Tricks betäubt und anschließend hierher gebracht hatte?
Sarah schloss die Augen. Wie sanft seine Berührung war und wie gut sie tat. Sie hatte etwas Vertrautes an sich, wie etwas aus einer längst vergessenen Zeit. Sarah erinnerte sich, dass ihre Mutter sich früher jeden Abend an ihr Bett setzte, ihr Haar streichelte und ihr Schlaflieder vorsang oder Gedichte von Shakespeare aufsagte. Und Sarah schlief jeden Abend mit dem Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit ein, mit demselben Gefühl, das sie auch jetzt verspürte. Dieses Gefühl gab ihr neue Kraft, die Müdigkeit verschwand nach und nach und Sarah spürte, wie neue Energie sie durchströmte. Lag es vielleicht an dieser heilenden Berührung? Und wie konnte es sein, dass dieselbe Berührung sie vor wenigen Stunden in Ohnmacht getrieben hatte?
Und… war es überhaupt so wichtig?
Nein. Die Vergangenheit war überhaupt nicht wichtig. Wichtig war das Hier und Jetzt. Seine Anwesenheit. Sein Lächeln. Seine Berührung und das gute Gefühl, das sie dabei hatte.
Sarah öffnete die Augen und schaute Jareth wieder an. Ohne den Blick von ihm abzuwenden griff sie langsam nach seiner Hand, legte sie an ihre Wange und hielt sie dort fest. Seine Handfläche war warm und trocken.
Eine Weile lang regte sich keiner von beiden. Auch der Kobold nicht, der immer noch in einer tiefen Verbeugung an der Tür stand und so tat, als würde er nichts sehen.
Sarah legte Jareths Hand auf ihren Mund und küsste sie zärtlich.
Für einen Augenblick schloss Jareth die Augen.
„Du hast sehr lange geschlafen“ unterbrach er schließlich die Stille und schaute Sarah wieder an.
„Wie lange denn?“ wollte Sarah wissen.
„So lange, wie es nötig war. Du warst sehr müde und brauchtest die Erholung.“
Sarah spürte wieder Tränen in den Auen. Sie wusste nicht, warum sie diese Aussage so traurig fand, aber so war es nun mal. Vielleicht deshalb, weil es endlich jemand erkannte. Ja, sie war müde gewesen und das seit langem. Furchtbar müde. Sie war gänzlich erschöpft gewesen. Und nun war sie hier und fühlte sich so, als ob sie nach einer langen Reise nach Hause zurückgekehrt wäre. Vielleicht lag es an dieser vertrauten Berührung. Sie antwortete nichts, richtete sich aber im Bett auf und errötete sofort, denn die Knöpfe ihres Nachthemdes waren oben offen. Schnell zog sie die Bettdecke hoch, um ihre Brüste zu verdecken.
„Wie ich sehe, hat dir Merlin Gesellschaft geleistet“ sagte Jareth lächelnd. Er schien von ihrer Verlegenheit nichts bemerkt zu haben. Er beugte sich zu dem Hund und tätschelte ihn an die Seite. Der Hund antwortete mit begeistertem Schwanzwedeln.
„Ja, das hat er.“ sagte Sarah und blickte zu dem Hund, der sich nun bequem hinlegte und zufrieden hechelte. „Merlin II. ist durchaus würdig, der Nachfolger vom Merlin I. zu sein. Merlin I. war auch so ein treuer Gefährte. Er konnte es auch immer kaum erwarten, dass ich aufwache und mit ihm Gassi gehe“.
„Merlin I.?“ fragte Jareth und hob eine Augenbraue hoch.
„Ja, sein Vorgänger. Den meine Hexe von Stiefmutter vor 20 Jahren weggegeben hatte.“
„Hast du je erfahren, an wen sie den Hund abgegeben hat?“ fragte Jareth. In seinen Augen funkelte ein helles, verschmitztes Licht. Als hätte im Inneren seiner Augen eine kleine Elfe zwei Kerzen angezündet.
„Nein“ seufzte Sarah und zuckte mit den Schultern. „Sie meinte nur, es sei irgendein komischer Punker mit Sonnenbrille gewesen. Soll der erste gewesen sein, der sich auf die Anzeige gemeldet hatte. Ich habe ihr niemals verziehen, dass sie meinen Hund an so einen Asozialen abgegeben hatte. Wer weiß, wie dieser Typ zu dem Hund überhaupt gewesen ist… Ich würde ihn jedenfalls am liebsten in den…“
„Und was wäre, wenn ich dir sagen würde, dass dieser Hund hier kein Merlin II. ist?“ unterbrach Jareth Sarah.
Sarah schaute ihn unverstehend an.
„Was meinst du damit? Soll ich ihm etwa einen anderen Namen geben? Merlin II. passt doch zu ihm, oder? Er gleicht Merlin I. doch aufs Haar.“
Jareth lächelte.
„Vor 20 Jahren, nachdem du aufgrund einiger… ähm… Missverständnisse das Labyrinth verlassen hattest, habe ich die Gestalt der weißen Eule angenommen, in der ich dir auch vor einigen Stunden erschienen bin. Ich habe dich seit unserer - nennen wir es einfach Trennung - all die Jahre häufig beobachtet. Ich wusste alles über dich. Ich wusste auch genau, was deine Stiefmutter vor hatte. Ich war nämlich der ‚Punker’, der sich bei deiner Stiefmutter als erster auf die Anzeige gemeldet hatte“ sagte er.
Sarah spürte einen starken Energieschub. Aber diesmal war es keine sanfte, Kraft spendende Energie, sondern pure Wut. Sie sprang vom Bett, stellte sich barfuss auf den kalten Fußboden und stemmte die Hände in die Seiten.
„Was???“ schrie sie.
Doch sofort bemerkte sie auch, dass es das falsche Wort war. Wie in einem Märchen, wenn ein Held das falsche Zauberwort benutzt. Jareths Gesicht veränderte sich nämlich schlagartig. Der sanfte Gesichtsaudruck verschwand, die bislang sanft blickenden Augen wurden wieder ironisch und kalt.
„Ja, ich habe mir die Freiheit genommen, deinen Hund bei mir aufzunehmen. Hier im Labyrinth erwartete ihn ein viel längeres und viel glücklicheres Leben, als in eurer Welt. Du siehst doch, er ist immer noch jung und vital, bei euch dagegen wäre es schon längst ein Fraß für die Würmer. So gesehen habe ich ihn gerettet. Ich dachte eben, ich könnte ihn hier als Wachhund gebrauchen und außerdem war ich irgendwie überzeugt, dass er mir eines Tages nützliche Dienste erweisen würde. Und ich habe mich nicht getäuscht. Wärst du sonst dem Hund gefolgt, wenn er nicht wie Merlin ausgesehen hätte? Wärst du so lange an dem Baum stehen geblieben, um sich an die alten Zeiten zu erinnern, hoch zur Baumhöhle zu blicken und mich zu sehen?“ Jareth stand ebenfalls auf und musterte Sarah mit einem amüsierten Blick.
„Jetzt verstehe ich!“ fauchte Sarah wie eine aufgeregte Katze. „Und ich dachte schon…“
„Was?“ fragte Jareth mit höflicher Stimme. Er schien an der Antwort richtig interessiert zu sein.
„Ach, ist doch unwichtig. Wichtig ist, dass das Ganze überhaupt nicht fair ist! Du beobachtest mich jahrzehntelang wie ein widerlicher Spanner, du klaust meinen Hund und benutzt ihn als einen Lockvogel, um mich dann heimtückisch zu betäuben und an diesen gottverdammten Ort zu bringen! DAS ist nicht fair!“
„Meine Liebe, ich habe mich schon immer gefragt, auf welcher Grundlage du deine Vergleiche ziehst. Es ist mehr als fair. Denk nach. Ich habe dir deinen Hund wieder gegeben, in bester Verfassung, wie du siehst. Ich habe dich von den Qualen des Weihnachtsfestes bei deiner Familie erlöst. Du wolltest mich als Weihnachtsgeschenk haben und hier bin ich. Sonst noch Wünsche?“
Sarah fasste sich an den Kopf. Langsam setzte sie sich wieder auf das Bett.
„Ja. Ich hätte gerne ein Glas Wasser“ sagte sie mit zitternder Stimme, wohl wissend wie absurd dieser Wunsch in einem solchen Augenblick war. Aber sie musste einfach etwas trinken, denn ihr Mund war ganz trocken.
Plötzlich war ihr alles, aber auch alles klar. Man muss aufpassen, was man sich wünscht, denn die Wünsche könnten wahr werden. Ihre Wünsche wurden es. Schon wieder. Sie war weit weg von Zuhause, Jareth saß neben ihr und als kleines Extra erfuhr sie soeben, dass ihr geliebter Hund, von dem sie sich innerlich längst verabschiedet hatte, lebte.
Jareth schnipste mit den Fingern und der Kobold, der immer noch verbeugt an der Tür stand und verstohlen zum Bett spähte, richtete sich auf und verschwand, um wenige Minuten später mit einer Glaskaraffe und einem Glas auf einem Silbertablett zurückzukehren.
Sarah trank einen Schluck. Das Wasser war kühl und gab Kraft. Es schien zu leuchten, als wäre es kein Wasser, sondern pures, trinkbares Licht.
„Ist das der einzige Grund, warum du mich hierher geholt hast? Seit wann bist du denn so selbstlos, um die Wünsche der anderen einfach so zu erfüllen?“ fragte sie schließlich.
Jareth holte tief Luft und senkte dann den Kopf. Seine ganze Arroganz und Hohn verschwanden plötzlich. Er wirkte jetzt zerbrechlich und wehrlos.
Doch Sarah hatte es nicht vor, auf seine miesen Tricks wieder hereinzufallen. Sie kannte sich mit Schauspielerei bestens aus, schließlich war ihre Mutter eine gute Schauspielerin. Jareth spielte ihr doch offensichtlich etwas vor, wollte bei ihr Mitleid oder irgendwelche Beschützerinstinkte erwecken. Verdammt, und fast wäre es ihm wieder mal gelungen, denn wo sie ihn so sitzen sah, bekam sie wieder ungeheure Lust, ihn zu umarmen, ihre Hände in die blonde Mähne zu vergraben und ihn auf diesen verführerischen schmalen Mund zu küssen und …
„Also, mein Herr? Ich erwarte eine Antwort“ sagte sie stattdessen uns spürte, dass sich der Sieg auf ihre Seite neigte. Sie war wieder die Stärkere. Sie war wieder voll und ganz da.
Jareth blickte zu ihr auf.
„Deine Wünsche zu erfüllen, war in der Tat nicht der einzige Grund. Ich habe dich hierher geholt, um dich um Hilfe zu bitten.“


Kapitel 9 - Der Spiegel

Na sieh mal einer an, dachte sich Sarah. Der ach so stolze König benutzt billige Tricks, um mich hierher zu locken, und mich dann theatralisch um Hilfe zu bitten. Bravo. Hätte er mich in meiner Welt um Hilfe gebeten, hätte ich ihn nur ausgelacht und hätte ihm den Rücken zugekehrt. Hier habe ich praktisch keine Wahl, ich bin ihm ausgeliefert. Wie schlau. Er weiß es ganz genau, der Mistkerl. Das ist einfach nicht fair!
Aber sie sagte es nicht laut. Sie wollte sich keine weiteren Sprüche über das Ziehen von Vergleichen anhören.
Und alles in allem war ihre Lage doch nicht so übel. Er war derjenige, der sie um Hilfe bitten wollte, was für sie bedeutete, dass sie ohnehin schon die Siegerin war, egal wo sie sich gerade befand. Wenn sie jetzt nein sagen würde, wäre er der Verlierer. Er würde ihr aber dennoch nichts antun, denn dieses Bisschen Verstand hatte er doch. Solange er nett zu ihr war, bestand nämlich immerhin die Eventualität, dass sie es sich doch anders überlegt und ihm hilft.
Sie lächelte siegreich.
„Nun, dann wollen wir hören, was der König für ein Problemchen hat“ meinte sie spöttisch und schaute Jareth herausfordernd in die Augen.
Eigentlich wollte sie damit einen weiteren Wutausbruch seinerseits provozieren. Sie war erstaunt, als Jareth langsam aufstand und eine ausholende Geste machte. In der Luft erschien ein in Gold eingerahmter Spiegel. Jareth nahm ihn in die Hände, setzte sich wieder hin und richtete den Spiegel so, dass sie sich beide darin sehen konnten.
„Schau da hinein, und du wirst alles erfahren.“ sagte er mit erschöpfter Stimme. „Ich bin müde. Ich muss mich jetzt zurückziehen.“
Er hielt ihr den Spiegel hin, dachte kurz nach und zeigte anschließend auf den Kobold. „Båggon bleibt bei dir. Wenn du etwas brauchst, wird er dir sofort dienen.“
Sarah prustete und nahm den Spiegel entgegen. Das Gesicht von ihr und von Jareth war immer noch darin eingefroren, wie auf dem Display einer Digitalkamera, obwohl sich jetzt nur noch ihr eigenes Gesicht darin spiegeln müsste. Das war so faszinierend, dass sie kaum wahrgenommen hat, dass Jareth den Raum verlassen hatte und die Tür hinter ihm ins Schloss fiel.
Sie schaute aber weiter in den Spiegel, denn sie bemerkte, dass sich darin etwas tat. Ihr eigenes Gesicht löste sich im Nichts auf und das Gesicht von Jareth begann sich zu verändern. Es wurde immer jünger. Sarah sah die Fältchen verschwinden, das Gesicht gewann jugendliche, dann kindliche Züge. Und dann sah sie Jareth als ganz kleinen Jungen, der in einem tristen Raum mit einer hässlichen Puppe spielte. Jareth hatte einen dunkelblauen Samtanzug an und ein weißes Hemd mit Rüschen am Hals. Seine kleinen Füße waren mit winzigen Lederstiefeln beschuht. Eigentlich sah er total süß aus uns Sarah musste unwillkürlich lächeln. Die Puppe, die klein Jareth in den Händen hielt, war allerdings das Hässlichste, was Sarah je gesehen hat, sie sah aus wie eine Kaninchen, das einen Stromschlag erlitt, hatte graues struppiges Fell, Glubschaugen und abstehende schiefe Zähne. Kein Wunder, dass Jareth als Mann so komisch war, wenn er als Kind mit solchen makabren Puppen spielen musste.
Die Bilder wechselten jetzt schnell. Hoggel war auf einmal zu sehen, dann wieder Jareth inmitten seiner Kobold-Untertanen, der verdreckte Thronsaal, die verkommene Koboldstadt mit ihren schmutzigen Gassen, armen Häusern, lumpigen Einwohnern und ausgehungerten Streunerkatzen. Und dann wieder Jareth, diesmal auf einem Ball, triumphierend, teuflisch gut aussehend, mit schönen Frauen tanzend und eine traumhaft aussehende Partnerin küssend.
Sarah wandte verlegen den Blick ab.
Das ging sie nichts an. Der Kerl war ihr doch völlig egal, er und seine widerlichen Liebschaften, sie wollte es deshalb einfach nicht sehen. Beim Anblick von Jareth, wie er die Frauen anschaute und berührte, kam in Sarah dieselbe Wut auf, die sie beim Anblick von ihrer Mutter und Jeremy spürte. Sie hasste dieses Gefühl, es war ihr peinlich. Sie verstand es nicht und sie wollte es auch gar nicht verstehen.
Sie spürte nun deutlich, dass sie Jareth hasste. Er war das einzig Peinliche hier – ja, das war er. Dieses ganze geschmacklose Theater, was er ihr hier bot. Was wollte er ihr damit sagen? Dass er jede Frau haben konnte? Tja, ein kleiner Denkfehler, mein Lieber. So kriegst du mich nicht rum. Mich kannst du nicht haben und, ehrlich gesagt, würde ich dir am liebsten in deinen königlichen Hintern treten, was ich sicherlich nachholen werde, sobald du dich hier blicken lässt. Und bis dahin…
Sarahs Gedankenfluss unterbrach.
Im Spiegel sah sie nämlich wieder Jareth. Diesmal allein. Er schaute ihr direkt in die Augen. Sein Blick war ernst und er selbst wirkte wieder zerbrechlich und hilflos. Dann erschien urplötzlich ihr Bruder Toby im Spiegel, dann der Thronsaal, und anschließende irgendwelche Trümmerhaufen. Dann wurde das Bild ganz dunkel. Der Zauber war vorbei und der Spiegel wurde zu einem ganz normalen Spiegel, in dem Sarah ihr eigenes Bild sah. Sie drehte ihren Kopf nach links und nach rechts und wunderte sich, wie hübsch sie sich auf einmal vorkam.
Dann schloss sie kurz die Augen und schüttelte den Kopf. Jareth sagte doch vorhin, der Spiegel würde ihr alles erklären, aber sie verstand nach wie vor nichts davon. Sie musste Jareth finden, den Spiegel vor ihm zerschmettern und ihm befehlen – ja! – befehlen, dass er sie sofort wieder nach Hause bringen soll. Sie hatte genug von seinen Spielchen. Sie wollte nach Hause, das war ihr Wunsch und den hatte er gefälligst zu erfüllen. Er hatte keine Macht über sie, das spürte sie genau.
Mit Schwung stand sie auf, richtete ihr Nachthemd und schaute sich nach einem Morgenmantel um. Nichts derartiges war in Sicht, bestimmt mit Absicht, damit der Herr und Gebieter Sarahs Rundungen uneingeschränkt bewundern konnte. Ach, zum Teufel damit, soll er doch ein wenig Freude in seinem Leben haben. Wenn ihn der Anblick eines Nachhemdes so erregt, dann nur zu. Soll er doch glotzen.
Energisch ging Sarah einige Schritte in Richtung Tür.
Sie drückte auf die Türklinke und zog den Türflügel zu sich, doch dieser bewegte sich keinen Millimeter. Sarah schaute sich um.
„He, du da, ähm… Buggon oder wie du heißt…“ sagte sie.
„Båggon, Mylady“ antwortete der Kobold höflich.
„Båggon, ich möchte zu Jareth. Öffne die Tür.“
„Seine Majestät ruht sich aus und möchtet nicht gestört werden“ sagte der Kobold ängstlich.
„Dann wird seine Majestät eben aufwachen müssen, es ist nämlich zufälligerweise mitten am Tag und ich habe seiner verdammten Majestät etwas mitzuteilen!“
„Aber…“ stammelte der Kobold und zog vor Angst den Kopf zwischen seine Schulter.
„Kein aber. Öffne die Tür.“ sagte Sarah gebieterisch. Wenn sie jetzt in den Spiegel schauen würde, würde sie sich kaum wieder erkennen. Sie sah gar nicht mehr hübsch aus. Der befehlende Ton veränderte ihre Gesichtzüge, sie wirkten jetzt streng und kalt.
„Das mache ich nicht“ verweigerte Båggon den Befehl. Er duckte sich, als würde er eine Ohrfeige erwarten.
„Wieso nicht?!?“ fauchte Sarah.
„Seine Majestät ist sehr krank. Er darf nicht gestört werden.“
Sarahs hob eine Augenbraue. Von wegen krank. Was war hier los?
„Was heißt hier krank? Ich dachte, er ist ein Koboldkönig, er kann doch zaubern und so Mist, es kann nicht sein, dass jemand wie er krank wird!“
„Mylady haben die Botschaft des Spiegels gesehen…“ sagte Båggon traurig und senkte den Blick.
„Gesehen – ja. Verstanden, ehrlich gesagt – nein“ gestand Sarah. Ihre Stimme wurde weicher. Sie betrachtete dieses treue Geschöpf und es schien ihr fast paradox, dass jemand, den Jareth sicherlich wie den letzten Dreck behandelte, seinem Herren dennoch so treu diente und so loyal ergeben war. Diese Eigenschaft erinnerte sie an Merlin. Sie war auch oft böse zu ihm, schloss ihn in die Garage ein, wenn er sie nervte und ließ ihn allein mit ihrer Stiefmutter, obwohl sie wusste, dass diese den Hund hasste. Merlin blieb ihr trotzdem immer absolut ergeben. Der Vergleich mit Merlin machte den Kobold etwas sympathischer. Ein wenig freundlicher blickte sie auf das kleine Wesen herunter, das ihr tapfer den Weg versperrte.
„Würdest du mit die Botschaft des Spiegels erklären?“ fragte sie.
Båggon strahlte plötzlich auf, als hätte jemand in seinem Inneren eine Glühbirne angeknipst.
„Mit dem größten Vergnügen, Mylady. Aber setzt euch doch bequem vor den Kamin. Dort ist es wärmer. Ihr holt euch sonst noch eine Erkältung“.
Sarah ging gehorsam zum Kamin und setzte sich auf ein flauschiges weißes Fell, das davor lag. Båggon holte noch eine Decke, die er behutsam um ihre Schulter legte. Schließlich setzte er sich neben ihr und nahm den Spiegel in die Hände.
„Die Krankheit, an der seine Majestät leidet, ist ein uralter Fluch“ sagte er mit ernster Miene.



Kapitel 10 - Der Fluch

„Vor mehreren Jahrhunderten“ begann Båggon zu erzählen „lebte hier im Labyrinth ein sehr grausamer, eitler Koboldkönig und ein sehr weiser Kobold. Der König war selbstsüchtig, arrogant und egoistisch. Er lies sein Königreich verkommen, kümmerte sich nicht um seine in Armut lebenden Untertanen und führte selbst ein verschwenderisches Hofleben.“
‚Na das kommt mir aber irgendwie bekannt vor’ dachte sich Sarah, doch sie sagte nichts.
„Der weise Kobold warnte den König mehrere Male, dass sein Verhalten nicht richtig war“ fuhr Båggon fort. „Doch der König hörte nicht auf ihn, und so hat der weise Kobold ihn mit einem Fluch belegt: sollte der König in den nächsten 100 Jahren keine einzige Person finden, die er liebte und die ihn aufrichtig lieben würde, würde er in einen Zwerg verwandelt werden, für alle Zeiten. Dieser Fluch sollte übrigens auch für alle zukünftigen Könige des Labyrinths gelten, sollten sie je vom rechten Pfad abkommen. Wie ihr euch denken könnt, Mylady, hat der König es nicht geschafft, innerhalb der vorgeschriebenen Zeit seine wahre Liebe zu finden. Denn alle liebten ihn nur seines Geldes und seiner Macht wegen, aber es gab kein einziges Wesen, das ihn allein seinetwegen liebte. Und so wurde er nach 100 Jahren in einen kleinen hässlichen Zwerg verwandelt, der seitdem das Labyrinth bewachen und dem neu gewählten König Jareth dienen musste. Diesem verwunschenen König seit ihr schon begegnet, Mylady.“
„Ich habe keinen König außer Jareth kennengelernt und keinen Zwerg außer… Oh, mein Gott!“ Sarah schaute Båggon mit großen Augen an. „Also ist Hoggel der…?“
„Ja, Mylady. Ihr könnt euch sicherlich an seine Vorliebe für Schmuck erinnern? Nun ja, das ist ein Überbleibsel aus jener Zeit, als er sich jedes Schmuckstück dieser Welt leisten konnte. Hoggel ist der reiche, grausame König, den niemand liebte. Dasselbe Schicksal erwartet jetzt seine Majestät. Seine Majestät führte auch Jahrhunderte lang ein sehr…ähm… ausgelassenes Leben, was bewirkte, dass nun der Fluch auf ihm lastet. Seine Majestät hat euch deshalb zur Hilfe gerufen.“
„Und ich soll ihn lieb haben und tätscheln, dann wird alles gut?“ fragte Sarah spöttisch.
„Nein Mylady“ schmunzelte de Kobold „So einfach ist es nicht. Ich kann euch nichts mehr dazu sagen, denn ich weiß auch nicht alles über den alten Fluch, da ich nur ein Diener bin. Aber ich weiß eines: Ihr müsstet seine Majestät aufrichtig lieben, damit der Fluch gebrochen wird.“
„Tja, aber liebe seine im wahrsten Sinne des Wortes verfluchte Majestät nun mal nicht. Nicht einmal aus Mitleid“ erwiderte Sarah entschlossen. „Und ich muss ihn immer noch sprechen. Führe mich zu ihm. Er wird dir nicht böse sein, ich verspreche es dir.“
„Das ist nicht die Angst vor seinem Zorn, Mylady, die mich dazu bringt, euch den Zutritt zur seiner Majestät zu verweigern“ erklärte Båggon. „Ich diene seiner Majestät vom Herzen. Ich war da, als er geboren wurde und ich war da, als er, so klein und einsam, seine ersten Schritte machte. Und ich war da, auch als er als Jüngling zu seiner ersten Jagt ausritt, und als er als junger Mann dann zum König gekrönt wurde. Ich war dabei, als er auf dem Ball die erste Frau küsste und…“
„So. Genug davon“, unterbrach ihn Sarah schroff. „Wenn du ihn so lieb hast, dann kannst du ihn doch vor diesem Fluch bewahren. Lass uns gemeinsam zu ihm gehen und dieses Theater beenden.“
„Mylady meinen, dass ich seine Majestät wirklich…“
„Ja, du könntest ihn wirklich retten.“ unterbrach Sarah ungeduldig. „In dem Fluch war doch nichts davon, dass es ausgerechnet eine Frau sein muss, welche die Majestät mit ihrer aufrichtigen Liebe überhäufen soll. Ich bin sicher, es ist egal, wer das ist. Vielleicht reicht schon Merlin dafür. Und dann werdet ihr hier alle glücklich die nächsten 1000 Jahre oder so leben. Das sind doch super Aussichten. Und wenn ich Glück habe, dann werde ich morgen um dieser Uhrzeit den sehnigen Truthahn meiner Stiefmutter essen. Ehrlich gesagt, kann ich es kaum erwarten. Und nun los.“ Sarah stand auf und schubste Båggon in Richtung Tür. Båggon zog den schweren Türflügel zu sich und sie traten in den dunklen, lediglich mit Fackeln beleuchteten Flur ein. Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss und ein gespenstisches Echo ertönte in den düsteren Gängen. Der Kobold nahm eine Fackel von der Wand und ging vor. Das Licht der Fackel warf unruhige Schatten an die Wände, als wäre der Flur mit geheimnisvollen, stummen Wesen bevölkert.
Sarah konnte sich all die Treppen, Gänge, Flure, Tore und Unterführungen nicht merken, die sie entlang gegangen sind. In ihrem Nachhemd verbarg sie diesmal leider keinen Lippenstift, mit dem sie den Weg markieren könnte. Müsste sie jetzt zu ihrem Gemach zurückkehren, würde sie sich gnadenlos verlaufen und vermutlich unterwegs vor Hunger sterben. Es sei denn, Merlin, der geduldig neben ihr trottete, würde sie zurückführen.
Nach langer Zeit hielt Båggon vor einer Holztür an, die der Tür zu ihrem Gemach zum Verwechseln ähnlich aussah. Sarah schaute sich aufmerksam um.
Das WAR doch die Tür zu ihrem Gemach! Dieselbe Türklinke, dasselbe riesige Schlüsselloch. Selbst die Fackeln an den Wänden waren an denselben Stellen und eine davon fehlte, was bedeutete, sie sind die ganze Zeit im Kreis gelaufen. Oder all das sollte eine Art Scherz sein, oder…
„Bist du sicher, dass wir hier richtig sind? Hier sind wir doch losgegangen!“ sagte Sarah.
Båggon lächelte verschmitzt. „Hier sind die Dinge nicht immer so, wie sie euch erscheinen, Mylady“ sagte er und öffnete langsam die Tür. Dann verbeugte er sich vor ihr und ließ sie passieren.
Sarah ging hinein.
Ja, auch wenn außen alles genauso aussah, war es definitiv ein anderer Raum. In der Mitte war zwar auch ein großes Bett, doch das Fenster hatte eine andere Form und war auf einer ganz anderen Wand und der Kamin war doppelt so groß wie in ihrem Gemach. Er hatte die Form einer weit geöffneten Fratze und sah ziemlich unheimlich aus. An den dunklen Wänden hingen Geweihe und düstere, alte Bilder in goldenen Rahmen. Eine schwarze Ritterrüstung musterte den Raum aus einer Ecke. Überall waren Kerzenhalter mit meist abgebrannten Kerzen befestigt, deren Ruß schwarze Spuren an den Wänden hinterließ. In einer anderen Ecke stand ein mit Stickereien verzierter Paravent.
Im ersten Augenblick dachte Sarah, in diesem Raum sei niemand. Doch dann, in der fast unerträglichen Stille, die nur durch das Knistern des Feuers unterbrochen wurde, hörte sie jemanden Atmen. Sie blickte in die Richtung.
Jareth lag im Bett und schlief.
Leise ging sie einige Schritte auf ihn zu und blickte anschließend über ihre Schulter zu Båggon. Dieser stand immer noch verbeugt an der Tür.
„Lass uns allein. Ich mache es schon und rufe dich, wenn es soweit ist.“ flüsterte sie ihm zu.
Båggon gehorchte diesmal wortlos und verließ den Raum.


Kapitel 11 - Der Zauber

Sarah näherte sich auf Zehenspitzen dem Bett und setzte sich vorsichtig an die Bettkante. Merlin setzte sich neben ihr, stupste ihre Hand mit seiner Nase an und winselte leise. Sie schaute zu ihm, legte den Finger an den Mund und streichelte anschließend seinen Kopf, woraufhin er einige Male mit dem Schwanz wedelte.
Dann wandte sie ihren Blick wieder zu Jareth. Sie verspürte eine ungeheure Lust, sein Haar zu berühren, so wie er ihres vor wenigen Stunden berührt hat. Sie wusste nicht warum, aber ihre ganze Wut und Aufregung waren plötzlich verschwunden. Merlin stupste wieder ihre Hand an, als wollte er etwas sagen, sie auf etwas aufmerksam machen.
‚Also wirklich’, dachte sie amüsiert, ‚Wenn Jareth schon diesen Hund aufgenommen hat, hätte er ihn doch in einen sprechenden Hund verwandeln sollen.’ Es wäre für alle eine Erleichterung, denn anscheinend hatte Merlin sehr viel zu sagen.
Sie schaute den Hund wieder an.
Bei dem Blick in seine braunen Augen, musste sie unerwartet an den Tag denken, als sie Merlin von ihrem Dad bekam. Sie wusste damals, dass ihr Wunsch in Erfüllung gehen und dass sie zu ihrem 10. Geburtstag einen Hund bekommen würde, und sie wusste auch genau, welche Rasse das sein wird. Sie freute sich sehr auf den Hund. Sie schaute sich in einem Buch Bilder von dieser Hunderasse an und erwartete ein großes mächtiges Tier, der sie vor allen Gefahren beschützen würde, einen Hund, auf den sie sich immer verlassen könnte.
Und dann kam Dad nach Hause und brachte ein Körbchen mit, in dem etwas wimmerte. Sarah wollte das Körbchen erst gar nicht aufmachen, denn offensichtlich war darin nicht der Hund, den sie sich gewünscht hatte. Sie war tief enttäuscht und sauer und wollte diesen Hund erst gar nicht sehen. Sie sagte, Dad solle ihn zurückbringen, dorthin, wo er ihn her habe. Dann jedoch, von ihrem Dad ermuntert, hob sie doch noch den Korbdeckel und sah ein unruhiges Wollknäuel mit feuchten Augen und großen Ohren, das sie ängstlich anschaute. Und in diesem Augenblick lernte sie Merlin lieben und verstand gleichzeitig, dass Liebe nichts mit Erwartungen zu tun hat.
Diese Erinnerung ließ sie lächeln.
Sie streckte die Hand aus, um Jareth Haar zu streicheln, doch nahm sie sofort zurück, ohne ihn berührt zu haben.
Sie wollte ihn nicht wecken.
Sarahs Mom sagte ihr einmal, dass man im Schlaf das wahre Ich eines Menschen entdecken kann. So wie die Nachtträume das Innere eines Menschen offenbarten, so zeigten die Gesichtszüge im Schlaf nämlich sein wahres Ich.
Sarah wollte jetzt dieses Ich kennen lernen.
Sie wollte das nachholen, was sie schon vor 20 Jahren hätte tun sollen. Dies war ihr momentan wichtiger, als das Bedürfnis nach körperlicher Nähe.
Trotz des großen Kamins war es in diesem Gemach recht kühl. Sarah schaute sich nach einer zweiten Decke um, doch wie es aussah, gab es hier keine. Vorsichtig legte sie sich also aufs Bett und schlüpfte unter Jareths Decke. Sie legte ihren Kopf auf das große, weiche Kopfkissen, schob ihre zusammengefalteten Hände unter die Wange und beobachtete den Schlafenden.
Wie ruhig er da lag.
Sein Atem war tief und gleichmäßig und seine Gesichtszüge wirkten unerwartet sanft und entspannt. Der Schlaf war die größte Macht, die es im Universum gab, ging es Sarah durch den Kopf. Er war noch mächtiger als der Tod. Denn jeder König, jeder noch so mächtige Zauberer musste sich der Macht des Schlafes fügen und musste im Schlaf – sei es nur für wenige Augenblicke - sein wahres, verletzliches Ich offenbaren.
Sarah wusste, wie viel Überwindung das ansonsten kostete.
Sie selbst zeigte ihr wahres Ich nur selten. Die wenigen Menschen, denen sie vertraute, und denen sie ihr Inneres offenbarte, haben sie schmerzhaft verletzt. Sarah dachte kurz an ihre Mom, die zwar stets behauptet hat, ihre Tochter vom Herzen zu lieben, die jedoch nie da war, als Sarah sie brauchte. Um ganz ehrlich zu sein, war in den letzten 20 Jahren ihre Stiefmutter öfter für sie da, als ihre eigene Mom…
Dann dachte Sarah an ihren Dad, der unter dem Pantoffel seiner zweiten Frau sich nicht einmal traute, Sarah ohne ihre Zustimmung anzurufen.
Und an ihre Stiefmutter selbst, Rebecca, die ihr Dad liebevoll Rebbie nannte, und die Sarah nach all den Jahren immer noch nicht richtig einschätzen konnte.
Und an Toby, den sie zwar damals, vor 20 Jahren aus dem Labyrinth gerettet hatte, der aber zu einem undankbaren Egoisten herangewachsen ist, der sie stets nur ärgerte und mit dem sie nichts gemeinsam hatte.
Und an ihre sogenannten Freunde, denen sie sich aber nie ganz öffnen wollte. Sie galt sowieso als hochnäsig und unzugänglich und hatte deshalb verständlicherweise nicht viele Freunde. Ehrlich gesagt brauchte sie auch keine.
So war sie sicherer.
Und doch gab es in ihrem Leben jemanden, der sie wortlos verstand und der hinter ihre Schauspielerei blicken konnte. Damals machte es ihr Angst. Doch hier und jetzt, wo er so wehrlos da lag, fühlte sie etwas Ähnliches als beim Anblick vom kleinen Merlin damals.
Wie eigenartig und irgendwie belustigend.
Sarah schmunzelte.
Es war vielleicht für vieles zu spät, aber für eines nicht: jetzt durfte sie ungestört hinter die Fassade des stolzen Königs blicken.
Sie konnte ihn nämlich jetzt anschauen, ohne den höhnischen Blick erwidern zu müssen, ohne über freche Antworten nachzudenken zu müssen, ohne krampfhaft auf selbstsicher zu tun. Jareths entspannten Gesichtszüge hatten etwas Wehrloses und Kindliches an sich, er hatte jetzt eine große Ähnlichkeit mit dem kleinen einsamen Jungen, der er einmal war und den Sarah im Spiegel gesehen hatte. Einen sehr ähnlichen Gesichtsausdruck hatte sie aber auch schon einmal beim erwachsenen Jareth gesehen, als sie sich am Ende ihrer Labyrinth-Reise gegenüber standen, in seinem Schloss, inmitten der unzähligen Treppen und Gänge. Jareth wirkte damals so erschöpft und verbittert und sie war stolz auf sich, ihn besiegt zu haben.

„Your eyes can be so cruel
Just as I can be so cruel
Though I do believe in you
Yes I do
Live without the sunlight
Love without your heartbeat
I, I can’t live within you
I can’t live within you”

sang er damals, doch Sarah hat die Bedeutung dieser Worte nicht verstanden. Sie hat Jareth nicht einmal sonderlich beachtet, rannte nur hin und her in diesem Raum, der sich als eine endlose Falle entpuppte. Jareth wollte sie aufhalten, er wollte sie zwingen, kurz inne zu halten und seinen Worten zuzuhören – jetzt wusste sie es.
Sie blieb damals aber nicht stehen.
Ihre ganze Aufmerksamkeit galt Toby, der die Treppen hinauf kletterte und den sie unbedingt einholen wollte.
Dabei waren diese Worte so einfach zu verstehen – jetzt, wo sie Jareth in diesem unendlich stillen Raum so nah war. Sarah dachte noch einmal daran, was er gestern über die Macht der Musik sagte. Jetzt begriff sie es. Jareth wollte ihr damals sagen, dass er nur mit ihrer Liebe sein Inneres offenbaren konnte. Er glaubte an sie. Sie war aber grausam zu ihm gewesen, so ist er auch grausam zu ihr geworden. Dennoch versuchte er ihr zu vermitteln, dass das Leben ohne ihre Liebe für ihn wie ein Leben ohne Sonnenlicht gewesen war. Und er konnte nicht zu ihrem Inneren durchdringen, weil sie ihn nicht ließ.
„Fürchte mich, liebe mich, tue was ich sage, und ich werde dein Sklave sein“ sagte er ihr verzweifelt, als sie in den Schlossruinen standen. Diese Worte, diese unerwartete Verletzlichkeit, diese ergebene Bitte des ansonsten so arroganten Königs, machten ihr damals Angst. Sie fand sie außerdem geschmacklos. Die Vorstellung, dass jemand, den sie im Herzen wegen seiner Macht zutiefst respektierte, ihr Sklave sein wollte, war ihr unangenehm. Sie war damals wütend, dass er es wagte, seine Schwächen gerade dann zu zeigen, wo sie doch schon fast seinem mächtigen Charme erlegen war. Sie war so enttäuscht und frustriert und diese Gefühle begleiteten sie eigentlich all die Jahre lang.
Und deshalb, als sie ihm gestern begegnete, behandelte sie ihn auch mit solcher Verachtung. Sie verachtete schwache Menschen vom Herzen, wie ihren Dad zum Beispiel, den seine erste Frau hat sitzen lassen und der nun nach der Pfeife seiner zweiten Frau tanzte. Sie wollte keinen Schwächling lieben, sie wollte selbst nicht zum Schwächling werden. Sie erwartete immer, dass der Mann, dem sie ihre Liebe schenkt, wie ein Fels in der Brandung für sie sein wird, ohne eine einzige Schwäche, ohne ein Makel.
Ja, das war das, was sie bislang erwartete.
Dabei hatte Liebe doch nichts mit Erwartungen zu tun.
Dieser Gedanke fühlte sich für Sarah wie ein guter Zauber an, als hätte jemand einen schweren Vorhang zur Seite gezogen, der ihr bislang die Sicht versperrte und hinter dem sich unbekannte Welten befanden. Bisher fürchtete Sarah diese Welten zu betreten, ja, sie wagte es nicht einmal, in Richtung des Vorhangs zu blicken, doch jetzt, das spürte sie ganz genau, war sie bereit. Sie wusste zwar nicht genau, wie das passierte und wenn sie jemand fragen würde, was sich in der letzten halben Stunde geändert hatte, könnte sie diese Frage auch nicht genau beantworten. All das hatte irgendetwas mit Merlin zu tun, aber was genau, das konnte sie nicht mehr sagen und sie war wieder viel zu müde, um jetzt darüber nachzudenken.
Sie rückte etwas näher an Jareth, legte sehr vorsichtig ihren Kopf an seine Brust und einen Arm um ihn. Sie hörte seinen Herzschlag, ruhig, gleichmäßig. Wohlige Wärme, das Gefühl der Sicherheit und Nähe durchströmten ihren Körper und sie wusste, jetzt brauchte sie sich diesen Gefühlen nicht mehr widersetzen. Alles war stimmig, alles war am richtigen Platz.
Und dann schlief sie einfach wieder ein.
Sie spürte nicht mehr, wie Merlin auf das Bett sprang und sich am Fußende zusammenrollte.


Kapitel 12 - Die Könige des Labyrinths

Als sie aufwachte, war draußen bereits dunkel.
Im Kamin brannte immer noch Feuer, doch die schreckliche Fratze, die den Kamin ausmachte, war in Dunkelheit zum Glück nicht mehr so deutlich zu sehen. Eigentlich wirkte dieser Raum im Dunkeln viel gemütlicher. Die goldenen Bilderrahmen schimmerten schwach an den Wänden, die Kerzen spendeten warmes Licht.
Sarah lag immer noch im Bett und Jareth lag neben ihr, auf seinen Ellbogen gestützt.
Er schaute sie an.
Der Schlaf schien ihm gut getan zu haben, er sah erholt aus. Sein Gesicht war nicht mehr so schrecklich blass und in seinen Augen sah man wieder die alte Energie.
„Der Schlaf hat dir gut getan, du siehst wieder erholt aus“ sagte Jareth zu Sarah, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
„Ähm, ja, das wollte ich eigentlich auch sagen, du siehst auch… gut und so erholt aus, ja.“ stammelte Sarah und verschränkte ihre Arme unter der Decke. Jareths Nähe war so aufregend. Und dazu lagen sie noch in einem Bett und unter einer Bettdecke, das machte die Sache um so prickelnder. Vielleicht würde er sie jetzt küssen, oder gar mit ihr schlafen wollen. Sie wusste, sie würde sich ihm jetzt hingeben, oh ja, sie würde es sogar mit Freude tun. Ehrlich gesagt hat sie all die Jahre darauf gewartet und sich sogar heimlich vorgestellt, wie es denn so wäre. Sarahs Wangen wurden rot. Sie bräuchte nur die Hand auszustrecken, um seinen Körper zu berühren, über seine Brust zu streicheln, über seine muskulösen Arme und… Aber sie traute sich nicht. In Jareths Augen war nicht die kleinste Spur von Verlangen zu sehen. Er schaute ernst, und sein Blick hatte etwas Feierliches, als wüsste er über all die Gedanken Bescheid, die Sarah hatte, während er schlief.
„Wir müssen reden, Sarah“ sagte Jareth mit ruhiger Stimme und setzte sich auf. „Und dieses Bett ist nicht der beste Ort für eine ernsthafte Unterhaltung. Wir sollten uns anziehen. Båggon bringt dir deine Sachen,“ fügte er hinzu.
Sarah errötete und schaute verlegen zum Kamin. Die Situation war ihr peinlich. Ihr tiefes Verlangen nach ihm wurde allem Anschein nach nicht erwidert. Der Kobold trat ein und brachte Sarah ihre Anziehsachen, frisch gewaschen und trocken. Sarah verschwand hinter dem Paravent und zog sich schnell an. Als sie wieder auftauchte, bemerkte sie, dass auch Jareth angezogen war. Es war ihr allerdings ein Rätsel, wie es er geschafft hatte, in seine aufwändige Kleidung so schnell zu schlüpfen. Vermutlich war es einfach ein Zaubertrick und eine leichte Übung für ihn.
Er saß nun vor dem Kamin, wo jetzt zwei bequeme Ohrensessel standen, und streckte seine langen, schlanken Beine zum Feuer aus. Sarah schluckte und zwang sich, nicht hinzusehen.
Sie setzte sich entschlossen in den anderen Sessel und schaute Jareth direkt in die Augen.
„Wie ich annehme, hast du nun alles im Spiegel gesehen, und einen Teil davon hat dir Båggon erklärt. Aber er weiß nicht alles und so liebenswürdig er auch ist, konnte er dir eben nicht alles erzählen. Ich möchte dir nun den Rest verraten“ sagte Jareth.
Dass Jareth von einem seiner Untertanen so positiv sprach, war für Sarah eine große Überraschung. Sie lächelte Jareth an, doch er blieb ernst. Sarah wurde wieder verlegen und machte auch ein ernstes Gesicht.
„Hast du vielleicht irgendwelche Fragen zu dem, was du gesehen hast und was Båggon dir erzählte, Sarah?“ Jareth schien ihre Verlegenheit nicht zu bemerken.
„Ähm… ja. Und zwar zu Hoggel. Er soll ein König gewesen sein, und er wurde in einen Zwerg verwandelt, weil er niemanden gefunden hatte, der ihn liebte. Aber wie konnte es sein? Hatte er keinen treuen Diener, keinen Hund, keine Koboldfrau… was weiß ich? Ich meine, es findet sich immer jemand, der einen mag und den man selbst gern hat!“
„Die Liebe, die ein verwunschener König finden muss, ist mehr als nur Mögen“ antwortete Jareth. „Der König muss eine Person finden, die einzigartig für ihn ist, die ihn genauso braucht, wie er sie braucht, für die er genau das tun kann, was sie für ihn getan hat. Es ist nicht einfach für einen König, wahre Liebe zu finden. Die meisten lieben einen König wegen seiner Macht, wegen seines Reichtums, sie fürchten ihn, sie verehren ihn, aber es ist nahezu unmöglich, eine Person zu finden, die ihn aufrichtig liebt. Die eine Ergänzung seiner Selbst ist und die in guten wie in schlechten Zeiten an seiner Seite steht.“
Sarah errötete. Sollte das etwa gleich zu einem Heiratsantrag ausarten? So aufregend die ganze Situation war, sie würde einfach nur nein sagen.
„Was meinst du damit?“ fragte sie herausfordernd.
„Ich meine, kein Diener und kein Hund können mich von dem Fluch befreien – falls du dir das so einfach gedacht hast, seien sie noch so treu und ergeben. Ein Diener oder ein Hund brauchen einen König nicht wirklich, sie können genauso gut einem anderen Herrn dienen.“
„Das bedeutet, Båggon könnte dich aus dieser Lage nicht befreien, oder?“
„Nein. Und auch Merlin nicht. Und auch kein anderes Wesen aus dem Labyrinth.“
„Aber ich…“
„Ja. Du schon. Denn du brauchst mich und niemand kann mich in deinem Leben ersetzen. Und auch ich brauche dich – und niemand kann dich für mich ersetzen. Schon bei unserer ersten Begegnung wusste ich, dass du diejenige bist, die mich von dem Fluch befreien könnte. Aber du warst noch so jung, und ich war zu ungeduldig, und du konntest und wolltest mich damals nicht lieben. Und hätte ich damals das gewusst, was ich jetzt weiß, hätte ich diesen Fehler nicht gemacht - ich hätte dir all diese Verlockungen nicht angeboten. Jetzt weiß ich, dass man die Liebe eines Menschen nicht damit gewinnt, indem man ihn mit Geschenken besticht. Doch damals, als du mich abgewiesen hast, da wusste ich keinen besseren Weg. Ich wollte ich sogar dein Sklave werden, nur um deine Liebe zu bekommen, weißt du noch? Doch da war es schon zu spät. Du warst angewidert von mir. “
„Jareth…“ unterbrach Sarah schüchtern. „So einfach war das alles nicht. Du hast schon recht, damals war ich viel zu jung und zu unerfahren, ich wusste selbst nicht, was ich wollte. Du warst ein erwachsener Mann, ich fast noch ein Kind, verstehst du? Das konnte nicht gut gehen. Und dennoch, die Wahrheit ist, ich habe dich damals und auch all die Jahre gebraucht. Jeden einzelnen Tag, jede Stunde. Ich habe mir sooft heimlich gewünscht, dass du bei mir bist. Aber damals war das Gefühl so neu für mich, es machte mir so viel Angst und…“
„Und du hast einen Mann wie aus Stahl erwartet, und als ich mich damals schwach zeigte, hast du mich abgelehnt. Allein die Erinnerung daran hat dich immer wieder wütend auf mich gemacht …“ ergänzte Jareth.
Sarah nickte.
„Doch erst heute habe ich erkannt, dass… dass…“ Sie holte tief Luft und schaute Jareth direkt in die Augen „Dass Liebe nichts mit Erwartungen zu tun hat.“
„Ja“ antwortete Jareth und lächelte endlich. Um seine Augen bildeten sich kleine Lachfältchen. „Der gute alte Merlin hat dich auf diesen Gedanken gebracht, oder? Ich wusste sehr wohl, das er mir eines Tages nützliche Dienste erweisen wird… Ja, Sarah. Es geht nicht um die Erwartungen, sondern darum, was man einander geben kann. Du kannst mir so viel geben: deine Kraft, damit ich daraus meine Kraft schöpfen kann und deine Verletzlichkeit, um mir meiner bewusst zu werden. Dein Herz, damit mein Herz am leben bleibt. Und… deine ganze Liebe, damit ich nicht in einen grässlichen Zwerg verwandelt werde.“
Sarah schaute ihm immer noch in die Augen und kämpfte mit den Tränen, die irgendwie ungewollt den Weg in ihre Augen fanden und jetzt kurz davor waren, ihre Wangen herunter zu rollen. Aber sie wollte nicht flennen. Nicht in einem solchen Augenblick.
„Und du…“ sagte sie schüchtern „Du kannst mir auch so viel geben, wie sonst kein anderer Mann. Und ich weiß, was ich sage, denn… ich meine… ich war schon mit einigen Männer zusammen, und… ähm… tja. Und ich meine damit auch nicht all die Geschenke, die du mir geben wolltest. Ich will sie gar nicht haben, verstehst du? Ich kann es hier und jetzt nicht besser ausdrücken, aber ich wollte dir nur sagen, dass ich …“. Sarah unterbrach. Wie banal das alles klang, wie aus einem Groschenroman. Aber wie sollte sie passende Worte für all das finden, was sie im Moment empfand? Wie sollte sie nur all die Gedanken in Worte fassen, die sie hatte, während er schlief?
Es wurde wieder still im Raum.
Das Feuer knisterte gelegentlich, direkt vor dem Kamin schnarchte genüsslich Merlin, aber ansonsten war es absolut ruhig.
Jareth schaute ins Feuer und sagte nichts. Was überlegte er da noch? War es nicht das, was er hören wollte? Diese Spannung wurde für Sarah langsam unerträglich. Sag doch was, flehte sie ihn innerlich an. Sag etwas oder tue etwas, sonst stehe ich auf und renne aus dem Raum. Und dann geht alles unwiderruflich verloren.
Und in diesem Augenblick merkte sie, dass dieser Satz wieder wie das richtige Zauberwort war. Als hätte er diese stumme Bitte verstanden, schaute Jareth sie an, stand langsam auf und streckte er seine Arme nach ihr. Wie im Traum erhob sie sich und ging auf ihn zu. Sie legte ihre Arme um seinen Hals und lehnte ihre Stirn an seine Brust. Sie fühlte, wie sich seine Arme langsam um sie schlossen. Jetzt konnte und wollte Sarah nicht mehr gegen ihre Tränen ankämpfen, sie ließ einfach los und weinte still. Sie spürte Jareths Hand auf ihren Haaren. Er streichelte sie und wog sie in seinen Armen.
Es schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, als Sarah es endlich wagte, Jareth in die Augen zu schauen. Sie befürchtete zwar, ihre eigenen Augen waren rot wie bei einem Angorakaninchen, aber es war ihr egal. Sie wollte in sein Gesicht sehen, seine Gedanken ablesen, wissen, was er fühlte. Sie begegnete einem ruhigen Blick, ohne eine Spur von Hohn oder Arroganz.
„Soll das heißen, du liebst mich?“ fragte Jareth.
„Ja, Jareth.“ antwortete Sarah und fühlte sich plötzlich so leicht wie noch nie in ihrem Leben. Wie gut es tat, Worte auszusprechen, die man jahrelang wie eine heimlich Last in sich trug, eine Last, die einen jeden Tag ein bisschen mehr vergiftete.
„Ich habe dich schon immer geliebt, seit dem Augenblick, in dem wir uns begegnet sind.“ Gestand sie und atmete tief durch.
Jareth lächelte. „Na das hört sich nach einer halben Ewigkeit an“ sagte er, zog sie sanft an sich und küsste sie. Es war ein zarter, dennoch inniger und besitzergreifender Kuss. Sarah merkte, wie ihr Atem schneller wurde und wie sie ihren Körper gegen Jareths drückte. Ein prickelndes Gefühl überströmte ihren Körper, genau wie vor 20 Jahren, als sie mit Jareth tanzte, genau dasselbe Gefühl, das sie hatte, als sie ihre Mom und Jeremy im Kaufhaus beobachtete. Doch jetzt war keine Wut mehr da, keine Angst mehr. Da war nur dieses unendliche Gefühl der Sicherheit, der Geborgenheit und der Dankbarkeit. Jetzt bräuchte er nur ein Wort zu sagen, und sie würde alles für ihn tun, jeden Wunsch von ihm erfüllen.
Doch Jareth setzte sich wieder in den Sessel und zog sie sanft auf seinen Schoß.
„Gab es vielleicht noch etwas, was du wissen wolltest?“ fragte er, als wäre nichts geschehen.
Sarah räusperte sich.
„Also noch einmal zu Hoggel“ sagte sie. „Er ist doch nicht etwa dein… Vater oder so?“ Wenn man Filmen wie „Star Wars“ Glauben schenken sollte, könnte theoretisch jeder von jedem der Vater sein.
„Nein“ schmunzelte Jareth „Wir sind hier nicht in … einem ‚Film’ nennt ihr Menschen das, oder? Das hier ist kein Film. Der Titel des Koboldkönigs wird nicht vom Vater auf Sohn vererbt. Die Könige werden gewählt.“
„Von wem den? Etwa von den Kobolden selbst?“ wollte Sarah wissen. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Kobolde - alles in allem zwar sympathische Geschöpfe - in der Lage wären, einen König zu wählen.
„Nein. Ein Orakel tut es. Weißt du noch, als du an den Türwächtern Alph und Ralph vorbei gegangen bist? Du hast die rechte Tür genommen. Hättest du die andere Tür gewählt, wärst du zum Orakel gelangt.“
„Aber der Türwächter sagte mir damals, die andere Tür würde in den sicheren Tod führen“ wunderte sich Sarah.
„Ja, das stimmt. Kein menschliches Wesen darf nämlich ungestraft die Stimme des Orakels hören, es würde sofort in schlimmsten Qualen sterben. Nur die Wesen des Labyrinths dürfen dem Orakel zuhören. Die Aufgabe des Orakels ist unter anderem, den Zeitpunkt der Geburt eines neuen Königs anzusagen. Es geschieht in sehr unregelmäßigen Abständen und ein König muss manchmal Jahrhunderte lang regieren, bis ein neuer König ihn ablösen kann. Es sei denn, der alte König kommt vom rechten Pfad ab, dann muss er eben früher ersetzt werden.“ Jareth lächelte verbittert und versank kurz in seinen Gedanken „Die Könige des Labyrinths stammen von den Kobolden,“ fuhr er anschließend fort „Sie werden in Koboldfamilien geboren und ihre Eltern sind echte Kobolde. Aber die Könige kommen in menschlicher Gestalt zur Welt. Daran erkennt man überhaupt, dass sie zukünftige Könige sind, falls zum gleichen Zeitpunkt mehrere Koboldkinder geboren werden. “
Sarah rieb sich nachdenklich die Nase.
„Und wenn sie zur Welt gekommen sind? Was passiert dann?“
„Dann werden sie ihren Eltern weggenommen, kommen in das Schloss des Noch-Königs und werden von ihm großgezogen – oder so ähnlich“ seufzte Jareth.
Sarah hatte nun das Bild des kleinen einsamen Jungen mit der hässlichen Puppe vor Augen und dachte sich, es wäre wohl besser, wenn die zukünftigen Könige bei ihren Familien aufwuchsen. Sie wären dann mit Sicherheit zu besseren Königen geworden und müssten nicht so oft ausgetauscht oder in Zwerge verwandelt werden.
„Und wer wäre denn diesmal zum König geworden, wenn du… wenn…“ stotterte sie, nicht wissend, wie die Verwandlung in einen Zwerg erwähnen sollte.
„Wenn ich in einen Zwerg verwandelt worden wäre?“ lächelte Jareth traurig. „Der neue König wurde schon vor 21 Jahren geboren. Und er ist der andere Grund, warum ich dich um Hilfe bitten wollte.“
„Ich fürchte, ich kann dir nicht folgen“ meinte Sarah.
„Der zukünftige König stammt diesmal aus der Menschenwelt. Er wurde in der Menschenwelt geboren und ich habe ihn selbst ins Labyrinth geholt, als er noch ein Baby war.“
Sarah hob den Kopf. Irgendetwas in Jareths Stimme veranlasste sie dazu, aufmerksamer zuzuhören. Eine schreckliche Vermutung bannte sich ihren Weg durch Sarahs Gedanken, die immer chaotischer durch ihren Kopf schwirrten.
„Ich habe es auf die Bitte eines wundeschönen jungen Mädchens getan, in das ich mich Hals über Kopf verliebt hatte. Ich wollte das Mädchen besitzen, ich wollte, dass sie mich liebte, um meinen Bann zu brechen. Ich habe es aber nicht geschafft, ihre Liebe zu erzwingen. Weil ich aber dieses Mädchen über alles liebte, wollte ich ihren Bruder nicht in einen Kobold verwandeln, wie all die Kinder, die ich bis dahin geholt hatte. Ich habe damals das Orakel befragt und es erlaubte mir, den Jungen als meinen Sohn bei mir zu behalten und ihn zu einem König zu erziehen. Sollte ich dabei auch die Liebe des Mädchens gewinnen können, wäre der Bann gebrochen und ich wäre frei. Meine Herrschaft wäre zwar damit vorbei, denn ich müsste meine Krone am 25. Geburtstag des jungen Königs an ihn weiter geben, aber ich selbst wäre von dem Fluch befreit. Doch das Mädchen wollte damals nichts von mir wissen, sie wollte nur ihren Bruder zurück. Sie erkämpfte sich ihren Weg durch das Labyrinth, befreite das Baby und nahm es wieder in ihre Welt.“
Sarah saß regungslos im Sessel und hörte mit offenem Mund zu. Ihre Wangen glühten.
„Doch wie du weißt,“ fuhr Jareth fort „haben wir hier im Labyrinth die Regel: was man gesagt hat, gilt - vor allem, wenn das Gesagte von einem Orakel stammt. Dein Bruder Toby wird der nächste König des Labyrinths werden“.
„Was? War es etwa das, was mir der Spiegel im zweiten Teil der Botschaft sagen wollte?“ schrie Sarah „Ich habe Toby darin gesehen. Aber dieser arrogante Schnösel, der nur an sich selbst denkt, ausgerechnet der soll zum König werden?“
„Ja, Sarah.“ Jareth senkte den Kopf.
„Du weißt auch sicher, was du dem Labyrinth damit angetan hast, oder?“
„Ja, Sarah. Aber ich bin da nicht allein schuld daran.“
„Wer denn sonst?“ fragte Sarah mit großen Augen.
„Du, meine Liebe. Indem du mir Toby damals weggenommen hast, hast du mich der Chance beraubt, ihn zum König zu erziehen. Ich habe aus meinen Fehlern gelernt, Sarah. Ich wollte Toby die Werte vermitteln, die ich selbst als König vernachlässigt habe. Ich hätte ihn zu einem sehr guten König erzogen. Aber du hast ihn zurück in die Menschenwelt geholt und das arme Kind war seitdem so verwirrt, dass… Nun ja. Das Ende kennen wir schon. Du weißt ja selbst am besten, wie Toby ist.“
Sarah war sich ihrer Schuld nicht bewusst. Sie hat doch damals das einzig richtige getan! Oder…? Irgendwie war all das so verwirrend, so komplex, dass sie langsam den Überblick verlor.
„Unter Tobys Herrschaft wird das Labyrinth sterben.“ meinte Jareth nach einer Weile. „Das war auch die letzte Botschaft des Spiegels. All diese Trümmer, die du gesehen hast. Toby wird mit seiner Selbstsucht all das zerstören, was die Könige des Labyrinths in Jahrtausenden aufgebaut haben. Seine Herrschaft wird das Ende des Labyrinths sein.“ Jareth senkte wieder den Kopf und schaute wieder abwesend ins Feuer.
„Ich war kein besonders guter König, Sarah,“ sagte er schließlich leise mit heiserer Stimme. „Auch ich war verschwenderisch und selbstsüchtig. Auch ich war grausam zu meinen Untertanen. Aber seit ich dich getroffen habe, habe ich mich geändert. Ich wollte, dass der Bann gebrochen wird, aber nicht nur, um frei zu sein, sondern auch um das Labyrinth zu retten. Denn ich liebe das Labyrinth und ich möchte, dass es bestehen bleibt. Ich möchte meine Fehler wieder gut machen, verstehst du das?“
Sarah schaute ihn an. Sein Kopf war gesenkt, die blonde Mähne verdeckte seine Augen. Ja, sie verstand ihn sehr gut. Sie selbst konnte vor wenigen Augenblicken ihre eigenen Fehler wieder gut machen und sie spürte immer noch die große Erleichterung. Sie wollte ihm dieses Gefühl auch zuteil werden lassen.
„Kann man das noch … Ich meine, kann man das Schicksal noch irgendwie verändern?“ fragte sie leise.
„Ja. Deshalb habe ich dich hierher geholt.“ antwortete Jareth.
„Ich dachte, du hast mich geholt, damit mir das Horrorfest bei meinen Eltern erspart bleibt. Und damit wir uns endlich aussprechen und damit ich mir über meine Gefühle für dich im Klaren werde. Und damit du…“
„Nein, das ist nicht alles, Sarah. Ja, ich habe dich hierher geholt, damit dir das grässliche Fest erspart bleibt und damit du deine Gefühle für mich entdeckst. Aber das Wichtigste ist, dass ich jetzt, wo ich mir deiner Gefühle sicher bin, dich um einen Gefallen bitten kann. Ich möchte dich bitten, mich in deine Welt mitzunehmen. Wir dürfen nicht hier bleiben. Nicht, wenn das Labyrinth bestehen bleiben soll.“

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Cristal Moon Offline

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24.12.2009 01:22
#54 RE: Fanfiction Antworten

... und hier der letzte Teil:



Kapitel 13 - Die Rettung


Sarah wurde ganz ruhig.
Diese Wendung war unerwartet und überraschte sie sehr. Bislang war das Gespräch wie ein guter Traum, in dem alle Wünsche in Erfüllung gingen und aus dem man nicht erwachen wollte. Ein lang ersehntes Liebesgeständnis, Jareths Umarmung, seine Lippen an den ihren und das gute Gefühl, absolut sicher und geborgen zu sein. Der zärtliche Kuss und das Verlangen nach mehr…
Sarah räusperte sich.
„Also, ich verstehe nicht ganz, was du damit meinst… Ich meine, jetzt ist nun endlich alles klar – ich liebe dich und damit ist der Bann gebrochen. Du wirst nicht in einen Zwerg verwandelt. Wir können somit hier im Labyrinth ein paar Jahrhunderte lang glücklich miteinander leben!“ sagte sie.
„Nicht, wenn das Labyrinth bestehen bleiben soll“ wiederholte Jareth.
„Aber warum?“
„Ich werde zwar nicht mehr zum Zwerg, dennoch darf ich nicht weiter regieren. Toby wird mit 25 Jahren zum König gekrönt. Ich habe noch 4 Jahre Zeit, um ihm das Nötige beizubringen und dazu muss ich bei ihm sein.“
„Wieso das denn? Hole ihn doch einfach hierher, ins Labyrinth!“ schlug Sarah vor.
„Das geht nicht. Ein menschliches Wesen, welches einmal das Labyrinth verlassen hatte, kann nur auf seinen eigenen, ausdrücklichen Wunsch wieder herkommen.“ erklärte Jareth „So wie du gestern. Toby dagegen kann diesen Wunsch gar nicht äußern. Er weiß nicht einmal mehr, dass es das Labyrinth gibt.“
„Dann wird er aber einen ziemlichen Schock erleiden, wenn er erfährt, dass er der neue König ist“ meinte Sarah höhnisch und verspürte wohltuende Schadenfreude.
„Nicht wenn ich ihn darauf vorbereite. Die Erinnerungen an das Labyrinth sind immer noch in seinem Kopf verankert und ich kann sie wieder lebendig machen. Aber dazu muss ich in seiner Nähe sein. Ich muss Kontakt zu ihm aufnehmen, ein Auge auf ihn haben und ihn auf seine Rolle vorbereiten.“
„Kann ich denn nicht solange hier bleiben und auf dich, ich meine auf euch beide warten?“ fragte Sarah flehend „Die Zeit verläuft hier doch sowieso anders, diese 4 Jahre werden mir vermutlich wie 4 Tage vorkommen, und dann wärst du wieder da, und wir würden…“
Jareth schüttelte den Kopf. „Du musst mit mir kommen. Ohne dich schaffe ich es nicht, denn in deiner Welt darf ich nur als Eule erscheinen. Höchstens 13 Stunden lang darf ich mich während meines gesamten Lebens in menschlicher Gestalt in deiner Welt zeigen, und davon habe ich schon einige Stunden verbraucht… Damals, um Toby zu holen, dann ein Jahr später, um Merlin mitzunehmen und schließlich gestern, als wir uns begegnet sind. Geblieben sind nur noch wenige Stunden und diese werden nicht reichen, um aus Toby einen König zu machen. Aber in deiner Nähe kann ich die menschliche Gestalt für immer beibehalten.“
„Was heißt denn für immer? fragte Sarah. „Selbst in meiner Welt kannst du dich doch in alles Mögliche verwandeln, oder? Ich meine, zumindest kannst du wieder mal zur Eule werden, wenn dir danach ist, und…“
„Nein Sarah.“ unterbrach Jareth ernst. „Das solltest du auch wissen: wenn du mich in deine Welt mitnimmst, wird alles anders. Wenn ich mich dazu entscheide, das Labyrinth für einen so langen Zeitraum zu verlassen, werde ich nie wieder zurückkehren können. So steht’s in den Regeln“.
„Du müsstest für immer in meiner Welt bleiben?“ fragte Sarah leise.
„Ja. Und an Tobys 25. Geburtstag, nachdem ich ihm meine Krone überreicht habe, werde ich auch zum richtigen Menschen. Ab diesem Zeitpunkt werde ich nicht mehr zaubern können, ich werde ganz normal altern und eines Tages sterben.“ erklärte Jareth ruhig.
„Na dann bin ich aber irgendwie erleichtert“ sagte Sarah „Stell dir vor, es würde alles beim Alten bleiben, dann würde ich in 20 Jahren wie deine Mutter aussehen…“
Jareth schmunzelte.
„Ich wette, du wärst bezaubernd in dieser Rolle.“
Sarah küsste Jareth an die Wange und dann fiel ihr plötzlich etwas ein. „Båggon!“ rief sie voller Schuldgefühle „Wir habe ihn vergessen… ich meine, ICH habe ihn völlig vergessen! Ich habe dem armen Kerl eingeredet, er könnte dich retten, weil er so ein treuer Diener ist, und habe ihm gesagt, ich rufe ihn, wenn ich alles mit dir abgesprochen habe. Und nun… was meinst du, wie ich es ihm sagen soll?“ fragte Sarah verlegen.
„Du brauchst ihm gar nichts zu sagen, meine Liebe“ erwiderte Jareth lächelnd. „Kobolde haben sehr gute Ohren und das Schlüsselloch ist, wie es dir sicherlich aufgefallen ist, riesengroß. Båggon weiß längst Bescheid, da gehe ich jede Wette ein, und er freut sich über den Lauf der Dinge.“
Wie eine Antwort ertönte aus dem Flur ein glückliches Kichern, dem einige schnelle Schritte folgten, als würde jemand schnell davon laufen.
„Klingt so, als hätte er es gewusst, wie es ausgeht“ meinte Sarah.
„Ja, das hat er mit Sicherheit. Båggon ist sehr schlau, und er erstaunte mich schon immer mit seinen fast hellseherischen Fähigkeiten. Ich weiß noch, als er einmal…“
„Bereust du es nicht?“ unterbrach ihn Sarah plötzlich. „Ich meine, all das, was du hier hast einfach aufzugeben, das Schloss, die Diener, deine Zauberkräfte und …die ewige Jugend?“
„Wenn ich in deine Welt gehe, werde ich zwar sterblich und werde statt ein paar Jahrhunderten höchstens ein paar Dekaden zu leben haben, aber dafür mit dir an meiner Seite. Wir werden vielleicht Kinder bekommen – was hier im Labyrinth nicht möglich wäre. Ich werde außerdem die Chance bekommen, Einfluss auf Toby auszuüben, ihn zu verändern. Es ist auf jeden Fall ein Fünkchen Gutes in ihm. In jedem ist ein Fünkchen Gutes, was nur zu einem Feuer entfachtet werden muss. Anderenfalls hätte mir das Orakel damals nie erlaubt, Toby als meinen Sohn zu behalten. Alles in allem: ja, ich gebe etwas auf, aber bekomme unendlich viel dafür.“
„So habe ich es nicht gesehen“ stimmte Sarah zu.
„Tja“ antwortete Jareth mit einem verschmitzten Lächeln „Du weiß doch: ich habe mich schon immer gefragt, auf welcher Grundlage du deine Vergleiche ziehst.“
„Das ist nicht lustig!“ fauchte Sarah.
„Für mich schon“ erwiderte Jareth trotzig und zwinkerte. Sarah zog sanft an einer seiner Haarsträhnen.
„Wer wird denn das Labyrinth regieren, während du all die Jahre weg bist?“ fragte sie.
„Nun, zum einen hast du schon richtig erkannt, dass die Zeit hier anders verläuft. Zum anderen ist es aber so, dass die Zeit hier sogar gänzlich stehen bleibt, sobald der Koboldkönig sein Königreich verlässt“.
„Seit wann das denn?“ fragte Sarah. An so etwas konnte sie sich nicht erinnern.
„Ich habe es persönlich veranlasst, nachdem du das Labyrinth verlassen hattest. Ich wollte bei dir sein, für dich da sein, auch wenn nur in Gestalt dieses weißen kulleräugigen Federviehs.“
„Dann wird hier im Labyrinth keine Zeit vergehen… Alles wird fließend ineinander übergehen…“ sagte Sarah nachdenklich „Möchtest du dich denn nicht von all den Kobolden verabschieden, noch einmal alle Ecken besuchen, vielleicht irgendwelche Sachen mitnehmen und…ich meine… du verlässt das alles für immer!“
„Nein Sarah. Ich habe hier lange genug gelebt. Meine Untertanen wissen Bescheid. Es ist Zeit für eine Veränderung. Und wenn man ein neues Leben beginnt, sollte man die Altlasten nicht mitnehmen.“ erwiderte Jareth.
‚Das ist wohl wahr’ dachte sich Sarah. ‚Auch für mich ist die Zeit der Änderungen gekommen. Auch ich werde die Altlasten hinter mir lassen müssen.’
„Apropos Altlasten“ sagte Sarah laut „Weißt du, was ich mich momentan am meisten bedrückt?“ fragte sie.
„Ich kann es mir ungefähr vorstellen.“ erwiderte Jareth. „Du bereust, dass du in deiner Welt nicht so ein herrliches, riesiges Bett hast, auf dem wir…“
„Nein!“ unterbrach ihn Sarah lachend. „Ich frage mich nur, wie ich es meiner Stiefmutter erklären soll, dass ich erst am zweiten Weihnachtstag auftauche, mit meinem Hund, den sie vor 20 Jahren weggegeben hatte, und dazu noch mit einem wildfremden seltsam aussehenden Kerl…“
„Wie bitte?“ fragte Jareth und machte eine übertrieben böse Miene.
„Ja!“ sagte Sarah „Außerdem besteht die Gefahr, dass sie dich doch erkennt, ich meine, deine Augen… deine Kleidung und Merlin noch dazu…“
„Sarah, ich hatte doch damals, als ich Merlin abholte, eine Sonnenbrille auf, das hat sie dir auch so erzählt und nur so hat sie mich in Erinnerung. Sie wird mich nicht erkennen, weder an meinen Augen noch an sonst was. Und was die Kleidung anbelangt, kann ich mir noch etwas überlegen. Werde ich ohnehin machen müssen, wenn ich in deiner Welt leben soll und wenn ich es nicht unbedingt möchte, dass du dich meiner schämst. Uns was Merlin anbelangt, so können wir ihn einfach als mein Weihnachtsgeschenk für dich vorstellen, als Merlin II. eben… Tja. Und was letzten Endes den Zeitpunkt unserer Rückkehr in deine Welt betrifft: ich kann die Zeit zurücklaufen lassen – schon vergessen?“.
„Nein, Liebster“ flüsterte Sarah in sein Ohr. „Ich habe nichts vergessen. Wie könnte ich nur“.


Kapitel 14 - Weihnachten

Sie standen vor dem Haus ihre Vaters. Es war nach wie vor kühl draußen, aber der Wind hat sich beruhigt. Drin brannte Licht, viele Menschenstimmen waren zu hören. Die gesamte Verwandtschaft war wohl schon versammelt und Sarah fragte sich, wie sie das trotz der spiegelglatten Straßen geschafft haben. Vermutlich waren sie schon vor einer Woche losgefahren oder so.
Sarah sah durch die Fensterscheibe ihren Onkel Rupert die Kerzen am Weihnachtsbaum anzünden und hörte ihre Großtante Ethel das Weihnachtslied „Deck the Halls“ singen. Es war dieselbe Tante, die jedes Jahr mit dem größten Vergnügen lallend fragte, wann Sarah denn endlich heiraten würde. Sarah vermutete schon immer, dass Tante Ethel ein ernsthaftes Alkoholproblem hatte.
Jareth schaute Sarah fragend an.
Sarah öffnete das Gartentor. Zu Tante Ethels „Deck the Halls“ gesellte sich nun „Last Christmas“ von Wham. Sarah schüttelte sich voller Entsetzen und Merlin, der hinter ihr lief, tat es ihr nach. „Last Christmas“ - wie konnte sie das nur vergessen. Die seelenlosen, abgehackten Töne trällerten teilnahmslos den verhassten Song, während Sarah und Jareth den Weg zum Haus entlang gingen. Die Weihnachtsbeleuchtung am Haus blinkte abwechselnd in Violett und Grün.
„Wer hat das denn gezaubert?“ fragte Jareth entsetzt.
„Ähm… niemand, Liebster, das nennt sich bei uns Weihnachtsbeleuchtung, das ist so Brauch an dem Tag, den wir als Weihnachten bezeichnen“ versuchte Sarah eine Erklärung zu finden, aber im tiefsten Inneren wusste sie, dass es keine plausible Rechtfertigung für diesen Wahnsinn gab.
„Meine Stiefmutter findet das schön“ ergänzte sie also vorsichtig.
„Vielleicht sollte jemand die Wachen rufen, damit sie das entfernen.“ schlug Jareth vor.
„Ja, sicher, eigentlich müsste man das tun… die Wachen heißen hier bei uns übrigens die Polizei. Aber sie würden nicht kommen, denn das, was du hier siehst, ähm… es ist im Grunde erlaubt… ich meine… komm einfach mit, du wirst es auch irgendwann verstehen…“ sagte sie unsicher und sah aus dem Augenwinkel, wie Jareth unglaubwürdig ein Plastikrentier mit einer roten, leuchtenden Nase betrachtete, das mitten im Vorgarten stand.
„Ach übrigens“ sagte Sarah, als sie vor der Tür standen „Ich finde, du solltest vielleicht tatsächlich etwas weniger Ausgefallenes tragen, du weißt schon, damit meine Lieben keinen Schock fürs Leben bekommen…“ kicherte sie. Jareth schaute sich seine Kleidung an. Er trug ein weißes Rüschenhemd, eine enge Hose und schwarze Stiefel, das gewöhnliche Outfit eines Koboldkönigs. Aber wenn es für die Menschenwelt nicht gewöhnlich genug war… Er schnipste mit den Fingern. Goldene Funken sprühten in die Luft. Sarah wandte instinktiv ihr Gesicht ab.
„Und? Was sagst du nun dazu?“ fragte Jareth. Sie blickte wieder zu ihm. Er trug jetzt einen hellen Anzug, eine weinrote mit einem dezenten Rautenmuster bedruckte Krawatte, hellbraune Lederschuhe und einen braunen, langen Mantel. Seine wilde blonde Mähne war verschwunden, die Haare waren jetzt kurz geschnitten und nach hinten gekämmt. Nur einige Strähnen fielen lässig auf seine Stirn. Er sah unheimlich attraktiv aus und Sarah spürte wieder ein Prickeln am ganzen Körper. Am liebsten würde sie ihn hier und jetzt vernaschen.
„Das… das ist sehr gut… ähm, es ist mehr als perfekt.“ sagte sie stattdessen, nahm ihn an die Hand und drückte mit der anderen Hand auf die Klingel.
Sie hörte ihre Vater ‚Da ist sie ja!’ sagen und anschließend ihre Stiefmutter so etwas wie ‚Na endlich’ murmeln. Sarah hoffte, dass ihr Dad die Tür aufmachen würde, doch dann hörte sie schnelle, leichte Schritte und sah Rebecca die Tür öffnen. Sie lächelte Sarah wie eine gut geschulte Stewardess an. Dann wanderte ihr überraschter Blick zu Jareth. Einen zusätzlichen Gast hatte sie nicht erwartet. Sarah in männlicher Begleitung, na so was, wer hätte das gedacht. Wie schön. Sie lächelte Jareth genauso mechanisch an und machte eine einladende Geste, die sie jedoch mittendrin unterbrach. Sie öffnete plötzlich den Mund und starrte Jareth mit großen Augen an.
„Ro…Ro… Robert würdest du bitte herkommen…?“ keuchte sie anschießend. An der Türschwelle erschien Sarahs Dad. Toby lugte neugierig hinter seinem Rücken hervor. Im Wohnzimmer sang Tante Ethel aus vollen Leibeskräften die zweite Strophe von „Deck the Halls“, jetzt aber eine Oktave höher und Sarah fragte sich, wie viel sie denn schon intus hatte und ob es mit ihr im Laufe des Abends noch schlimmer werden könnte.
Jareth verzog das Gesicht, schaute Sarah an und zwinkerte ihr zu. Sarah atmete auf. Wenn ihn Tante Ethels Vokalexzessen nicht in die Flucht getrieben haben, bestand immerhin Hoffnung, dass Jareth ihre gesamte Familie nicht allzu peinlich finden würde.
Sarahs Stiefmutter war immer noch wie versteinert. Sarahs Dad dagegen rieb sich die Stirn, als würde er sich an etwas erinnern wollen.
„Oh“ stammelte endlich Rebecca und lächelte Jareth wieder an, doch diesmal war ihr Lächeln eher schüchtern und nervös, wie bei einem jungen Mädchen. Verlegen schaute sie wieder zu Sarah „Oh. Schön, dass du….dass ihr beide da seid.“ Dann wanderte ihr Blick wieder zu Jareth. „Sie sind doch nicht etwa…. Oh. Ich meine, sie erinnern mich doch an diesen britischen… wie heißt er noch mal…“
„Ja, ja, Rebbie. Ist ja schon gut. Nun lass die beiden erst einmal reinkommen.“ fiel ihr Sarahs Dad beruhigend ins Wort und schob Rebecca mit einer sanften Geste ein wenig zur Seite.
Tobys Augen waren Kugelrund.
„Guter Fang, Schwesterherz!“ sagte er und pfiff begeistert. Normalerweise wäre Sarah jetzt wütend geworden und würde ihm vielleicht eine Ohrfeige verpassen wollen oder mit einem Schuh nach ihm werfen oder so. Doch jetzt lächelte sie Toby einfach nur an. Toby machte den Mund auf, sagte aber nichts weiter.
Sarah dagegen schaute ihren Dad und ihre Stiefmutter mit leuchtenden Augen an. Rebecca sah so verlegen aus, dass sie ihr Leid tat. Ihre Wangen waren rot, sie war offensichtlich auch nicht in der Lage, irgendetwas Sinnvolles zu sagen. An wen immer Jareth sie erinnerte, es war bestimmt nicht der Punker von damals. Sarah atmete erleichtert auf. Arme Rebecca, wie sie sich jetzt fühlen musste... In jedem ist ein Fünkchen Gutes, erinnerte sich Sarah an Jareths Worte. Es muss nur zu einem Feuer entfachtet werden.
„Dad… Rebbie…“ sagte sie feierlich. Es war ihr klar, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben den Kosenamen ihrer Stiefmutter benutzte. Aber auch ihre Stiefmutter wusste es, denn ihre Augen waren plötzlich voller Tränen. Sarah konnte jetzt begreifen, dass es Tränen der Erleichterung und der Dankbarkeit waren, wie das manchmal ist, wenn endlich etwas in Erfüllung geht, worauf man jahrelang angespannt gewartet hatte.
„Dad… Rebbie…“ wiederholte Sarah „Entschuldigt bitte, dass wir zu spät kommen. Ich musste noch schnell etwas erledigen. Und übrigens, das… das ist Jareth“.
Glücklich schaute sie ihn an.
Er küsste sie an die Wange, legte seinen Arm um sie und sie gingen ins Haus. Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss.
Draußen ertönten die letzten Akkorde von „Last Christmas“. Das Weihnachtsfest hat begonnen.

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Cristal Moon Offline

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24.12.2009 01:23
#55 RE: Fanfiction Antworten

So Das war's. Hoffe, niemand ist eingeschlafen.

Hey, habt ein schönes Fest, allerseits!

P.S. Oh, Mann, ich war ein wenig beschwist, als ich meine FF gepostet habe. Hoffe, es ist alles in Ordnung damit.
Ich drücke Euch alle weihnachtsmäßig!
Eure Cris

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Cristal Moon Offline

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07.01.2010 14:55
#56 RE: Fanfiction Antworten

Ohhh... lass uns noch was Schreiben/Posten! Ich habe nicht viel an FF da, aber eine Geschichte habe ich noch, die poste ich demnächst.

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Cristal Moon Offline

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22.04.2011 20:07
#57 RE: Fanfiction Antworten

Also, wie bereits in dem anderen Thread angekündigt, hier eine etwas andere FF, die ich vor längerer Zeit geschrieben habe.
Viel Spaß beim lesen. auf Meinungen, Kommentare und Kritik bin ich natürlich gespannt!

http://www.fanfiktion.de/s/4db1c2a80000b60406800bb8

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June Offline

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23.04.2011 11:20
#58 RE: Fanfiction Antworten

Die Geschichte ist wunderschön. Dazu fällt mir eigentlich keine Kritik ein. Es ist, als wäre man live dabei und würde alles miterleben. Die bildliche Beschreibung ist einfach toll. Auch die Gefühle sprechen einem sozusagen aus der Seele. (z.b. dieses Anti-Botox, das die alle brauchen um die lächelnde Maske aufrecht zu halten und auch als Tapsy das Bein ausgerissen bekommen hat.)
Wie bist du auf die Idee gekommen eine solche Storyline zu nehmen? Ich finde sie ist gut durchdacht, aber mir würde so etwas nicht einfallen. Auch die Idee mit dem Versteck für Tapsy würde ich nie haben, da ich mir so ein Klavir schon kaum vorstellen kann. Es war jedenfalls richtig erfrischend die Geschichte zu lesen.

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Cristal Moon Offline

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23.04.2011 14:12
#59 RE: Fanfiction Antworten

Zitat
Wie bist du auf die Idee gekommen eine solche Storyline zu nehmen?

Hab Dir ne PN geschrieben. Zu persönlich, um es öffentlich zu posten .

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snowyowl Offline

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Beiträge: 581

29.04.2011 16:22
#60 RE: Fanfiction Antworten

@ Cris:
Ich habe mir gerade die Zeit genommen, ganz ungestört deine Geschichte zu lesen und sie hat mich absolut in ihren Bann gezogen.
Clara ist faszinierend und ich finde es erstaunlich, wie es dir gelingt, innerhalb eines One Shots so viele verschiedene Facetten der Figur zu zeigen.
Vor allem liebe ich die Stimmung, die du aufbaust, sodass man selbst genau nachempfinden kann, wie es Clara geht oder aber, dass es einem fast vorkommt, als wäre man anwesend. Ich für meinen Teil habe das Klavier imaginär gehört und irgendwann war ich komplett gefesselt von der Atmosphäre und von den Geschehnissen bzw. von Claras Erinnerungen.
Wirklich eine ganz besondere Geschichte. Vielen Dank, dass du den Link gepostet hast.
Wobei mich die Entstehungshintergründe auch interessieren würden, gerade weil es sich um ein so ganz eigenes Werk handelt, das sich praktisch nicht vergleichen lässt und das deshalb auch keine Sekunde vorhersehbar war und wirklich eine Menge Insiderwissen enthielt.

"You can call him foe, you can call him friend
You should call and see who answers
For he knows your eyes are drawn to the road ahead
And the Shadow Man is waiting round the bend"

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